Operation Katzenbomber

DDT sollte helfen, die Malaria zu bekämpfen. Dann ging auf Borneo angeblich alles schief. Ein modernes Umweltmärchen.

Von Jörg Albrecht

Das Hamburger Nachrichtenmagazin “Der Spiegel “leistet sich ein Archiv, das einen legendären Ruf besitzt. Rund siebzig Spezialisten sind damit beschäftigt, jeden einzelnen Artikel zu verifizieren. Kommt allerdings ein Gastautor zu Wort, sei das manchmal nur eingeschränkt möglich, sagt der Leiter der Dokumentationsabteilung.

So räumte die Redaktion dem amerikanischen Schriftsteller Tom Coraghessan Boyle einmal Platz ein, um zu schildern, was ihn veranlasst hatte, einen pessimistischen Zukunftsroman zu verfassen. T. C. Boyle nannte drei Beispiele. Erstens die Geschichte von dem seltenen Vogel, der nur auf einer winzigen Felseninsel vor der Küste Neuseelands vorkam und kurz nach seiner Entdeckung auch schon wieder ausgerottet war, weil der Leuchtturmwärter sich eine Katze angeschafft hatte, welche den flugunfähigen Sperling im Handumdrehen bis auf das letzte Exemplar verspeiste. Boyle führte ferner an, wie der berühmte Yellowstone Nationalpark vor die Hunde ging, weil die Verwaltung beschlossen hatte, ihn von sämtlichen Raubtieren zu säubern. Und schließlich, wie auf Borneo alles schiefging, als die Weltgesundheitsorganisation versuchte, dort die Malaria zu bekämpfen.

Die Geschichte ist weit verbreitet. Im Internet findet man sie unter dem Stichwort „Operation Cat Drop“. Sie hat es aber schon lange davor in diverse gedruckte Medien geschafft. Die früheste Version stammt aus der New York Times, die im Februar 1962 einen Bericht des Vietnam-Korrespondenten und Pulitzer-Preisträgers Homer Bigart veröffentlichte, der mit dem schönen Satz einstieg: „American DDT spray killed the cats that ate the rats that devoured the crops that were the main props against Communist agitation in the central lowlands.“ Selbst wenn die Story damals noch in Vietnam spielte, enthielt sie bereits wesentliche Elemente der späteren Saga: Ignorante Fachleute versprühen irgendwo in Asien Insektenvernichtungsmittel und richten damit unvorhergesehenen Schaden an.

Zur Operation Katzenbomber weitet sich das Ganze erst ein paar Jahre später aus. Gordon Harrison, ein Historiker und Journalist, der für die Ford Foundation arbeitet, berichtet in der Zeitschrift des American Museum of Natural History, er habe vor kurzem mit einem Biologen gesprochen, der fünf Jahre lang als Seuchenbekämpfer auf Borneo gearbeitet habe. Die Weltgesundheitsorganisation hätte dort im Rahmen einer Kampagne gegen die Malariamücken große Mengen DDT eingesetzt. Wenig später seien die Dächer über den Köpfen der Eingeborenen zusammengebrochen, zerstört von Raupen, die gegen das Gift immun gewesen seien, während die parasitären Wespen, von denen sie normalerweise in Schach gehalten würden, daran zugrunde gingen. Auch habe es massenhaft Fliegen dahingerafft. Geckos hätten sich darüber hergemacht und seien anschließend eine leichte Beute für die Hauskatzen gewesen. Die Katzen hätten dadurch so viel Gift abbekommen, dass sie ebenfalls das Zeitliche segneten, woraufhin die Ratten überhandnahmen. Als letzter Ausweg sei nur geblieben, neue Katzen per Flugzeug einzufliegen und an Fallschirmen abzuwerfen.

Man könnte die Geschichte für eine der modernen Legenden halten, die zu Tausenden im Internet kursieren. Man kann sie aber auch als erfolgreiches „Narrativ“ betrachten. Der Begriff ist in jüngerer Zeit schwer in Mode gekommen. Er geht zurück auf den französischen Literaturtheoretiker Jean-François Lyotard und steht für eine sinnstiftende Erzählung, die dazu führen kann, dass ein Problem erkannt und angegangen wird. Politiker, Journalisten und PR-Fachleute wissen, wie machtvoll das richtige Narrativ zur rechten Zeit sein kann.

Aktuell wird beispielsweise ein Narrativ gesucht, das den Dieselmotor endgültig obsolet oder aber wieder salonfähig machen könnte. Ähnlich war das in den sechziger Jahren. Nur ging es damals nicht um Stickoxide. Sondern um die Chemikalie Dichlordiphenyltrichlorethan. Diese chlororganische Verbindung war schon im 19. Jahrhundert synthetisiert worden. Dass sie als Kontakt- und Fraßgift taugte, fand sechzig Jahre später der Schweizer Chemiker Paul Müller heraus. Im Deutschen Reich wurde DDT erstmals großflächig gegen den Kartoffelkäfer versprüht, im Zweiten Weltkrieg diente es den Soldaten zur Läusebekämpfung.

Die Substanz kam ins Gerede, nachdem die amerikanische Biologin Rachel Carson 1962 ihr Sachbuch „Silent Spring“ veröffentlicht hatte. Darin schilderte sie, wie sich das Gift in der Nahrungskette anreichert, was unter anderem dazu führte, dass die Schalen von Vogeleiern immer dünner wurden und zerbrachen. Charismatische Arten wie der Weißkopfseeadler, immerhin das Wappentier der Vereinigten Staaten, schienen akut gefährdet. „Operation Cat Drop“ passte perfekt in dieses Bild. So machte die Geschichte die Runde.

In Deutschland griff sie als Erster der Wissenschaftsjournalist Theo Löbsack auf. In einem Aufsatz für die Hamburger Wochenzeitung “Die Zeit” wusste er 1969 zu berichten, dass die Geckos verhungert seien, weil sie keine Fliegen und Mücken mehr fanden. Die Zahl der herangeschafften Katzen konnte er nicht genau beziffern, jedoch seien sie „in größerer Menge“ eingeflogen worden.

Das nahm im Laufe der Überlieferung immer erstaunlichere Ausmaße an. Dazu beigetragen hat wiederum der Schriftsteller T. C. Boyle. In seiner 1993 erschienenen Kurzgeschichte „Top of the Foodchain“ lässt sich ein Experte vor einem Untersuchungsausschuss des Senats über die näheren Umstände aus: „Meine Herren, sie hätten das mal sehen sollen, diese kleinen Fallschirme und die Gurte, die wir fabriziert hatten, vierzehntausend Stück, daran Katzen in allen Farben des Regenbogens. Einohrige Katzen, Katzen mit gar keinen Ohren, mit halben Schwänzen, Katzen mit drei Beinen und Katzen, die der Stolz jeder Katzenshow hätten sein können. Und alle wirbelten sie vom Himmel wie überdimensionale Schneeflocken.“

Spätestens jetzt hätte jeder halbwegs nüchterne Leser stutzig werden müssen. Wie soll man es im Ernst bewerkstelligen, vierzehntausend widerspenstigen Katzen einen Fallschirm umzuschnallen? Wie viele Frachtflugzeuge wären nötig gewesen, um sie über dem dampfenden Dschungel von Borneo abzuwerfen? Hätte diese Invasion nicht alles noch viel schlimmer gemacht? Nur ein Narrativ, das eine Denkweise bestätigt, die sich in den Köpfen vieler Menschen bereits fest verankert hat, hält solchen Bedenken stand.

Und das tat es. Umweltaktivisten sahen sich bestätigt. Katzenfreunde reichten die Geschichte ungeprüft weiter. Sie tauchte in der Kinderliteratur auf, in Erdkundebüchern für die Oberstufe, im Unterricht an Montessori-Schulen und wird bis heute als klassisches Beispiel für die Notwendigkeit vernetzten Denkens in Sachbüchern und Ratgebern für umsichtiges Management angeführt. Im Internet, das nichts vergisst, findet sich unter anderem die Predigt eines evangelischen Pastors, der seiner Gemeinde vortrug, es seien sogar Hunderttausende von Katzen importiert worden, und zwar aus Australien, was aber nichts genützt habe, weil diese die aggressiven bornesischen Ratten verschmäht hätten; am Ende sei eine Hungersnot sowie die Beulenpest ausgebrochen, und ein Volk hätte im Sterben gelegen, das zuvor jahrtausendelang mit den Moskitos gut zurechtgekommen sei.

Die Übertreibung sei eine Wahrheit, die ihre Geduld verloren hat, schrieb der Dichter Khalil Gibran. „Operation Cat Drop“ ist geradezu ein Paradebeispiel. Denn ganz und gar aus der Luft gegriffen ist die Fabel von den Mücken und den Raupen und den Katzen nicht.

Es existiert ein Bericht, der schildert, was die WHO damals unternommen hat. Erschienen ist er 1956 im Bulletin of the World Health Organization, verfasst hat ihn der spanische Mediziner Julian de Zulueta, der zu den führenden Malaria-Experten seiner Zeit zählte und ehrfürchtig „Señor de los mosquitos“ genannt wurde. Es war eine selbst nach heutigen Maßstäben untadelige Arbeit, und sie zeugt von dem heroischen Einsatzwillen, den Entwicklungshelfer in den fünfziger und sechziger Jahren an den Tag legten.

Über die Zustände im Inneren Borneos war zu dieser Zeit nicht viel bekannt. Die drittgrößte Insel der Welt war von dichtem Regenwald bedeckt und außerordentlich dünn besiedelt. Die Region Sarawak im Norden des Landes konnte nur entlang der Flüsse mit Booten erkundet werden. Dort lebten im Schutz der Berge Dutzende indigener Volksgruppen, die zum Stamm der Dayak gehörten und weitgehend vom Rest der Welt isoliert waren. Man munkelte, dass sie hin und wieder noch als Kopfjäger unterwegs waren und dem Kannibalismus nicht gänzlich abgeschworen hatten. Unter ihnen, so hieß es Anfang der fünfziger Jahre, sei eine Malaria-Epidemie ausgebrochen.

Auf Kanus, die von einheimischen Führern durch Stromschnellen und Untiefen gesteuert wurden, schlug sich Zulueta in tagelangen Reisen zu den Dörfern durch. Das waren typische, auf Stelzen errichtete Langhäuser, die von bis zu einhundert Familien gemeinsam bewohnt wurden. Hauptnahrungsmittel war Reis, die Felder wurden durch Brandrodung angelegt und nach einigen Jahren wieder aufgegeben, was die Dayak zu Halbnomaden machte.

Rund siebenhundert Bewohner aus verschiedenen Dörfern wurden auf Anzeichen von Malaria untersucht. Die Hälfte von ihnen wies eine vergrößerte Milz auf, bei einem Drittel konnte der Erreger direkt im Blut nachgewiesen werden. Die höchste Infektionsrate fand sich unter Kindern im Alter zwischen zwei und neun Jahren. Das deutete darauf hin, dass sich die Menschen nicht auf den Reisfeldern, sondern daheim im Dorf angesteckt haben mussten. Babys andererseits waren kaum betroffen, was die Vermutung nahelegte, dass sie die meiste Zeit des Tages unter Moskitonetzen verbracht hatten, die im Rahmen der Kampagne zuvor an die Einheimischen verteilt worden waren; sie wurden allerdings weniger als Schutz vor Mücken betrachtet, sondern als willkommener Beitrag zur Schaffung einer gewissen Privatsphäre.

Nun ist die Malaria bis heute nicht besiegt. Rund um den Äquator fallen ihr nach wie vor rund eine Million Menschen pro Jahr zum Opfer. Das liegt nicht allein am fehlenden Geld, am mangelnden Willen oder politischer Uneinsichtigkeit – sondern in der Natur der Sache. Schon kurz nach den ersten Großeinsätzen hatte sich gezeigt, dass Anopheles-Mücken, die Überträger der Krankheit sind, nach einiger Zeit Resistenzen gegen das Gift entwickeln. Nun rückten seine Nebenwirkungen und die Folgeschäden, die das Mittel in der Umwelt anrichtete, in den Mittelpunkt der Diskussion. Die Substanz wurde zum Symbol des Streits zwischen Ökologen und Verfechtern der Agrarchemie. Die Rollen von Gut und Böse waren rasch verteilt.

Der spektakulärere Teil der Geschichte ist sowieso der mit den Katzen. Dafür eine zuverlässige Quelle zu finden ist wesentlich schwieriger. Der Umweltfachmann Patrick O’Shaughnessy von der University of Iowa hat sich vor zehn Jahren die Mühe gemacht und ist dabei auf den Briten Gordon Conway vom Londoner Imperial College gestoßen, der in den sechziger Jahren als Agrarberater bei der Entwicklung von Schädlingsbekämpfungsprogrammen in Malaysia mitgearbeitet hat und später Präsident der Rockefeller Foundation wurde.

Auf einer Konferenz und in mehreren Aufsätzen konnte auch Conway nur aus zweiter Hand berichten. Im Süden Borneos seien es vergiftete Kakerlaken gewesen, die den Katzen zum Verhängnis wurden, im Norden kleine Geckos, die „chi-chaks“ genannt wurden. Zur Bekämpfung der anschließenden Rattenplage seien im nördlichen Bundesstaat Sabah Katzenbesitzer aufgefordert worden, überzähligen Nachwuchs zu spenden, der mit Lastwagen in die Berge geschafft worden sei. Im südlichen Bundesstaat Sarawak sei das wegen der dürftigen Verkehrsverbindungen nicht möglich gewesen, weshalb die Royal Airforce einspringen musste und den Katzenersatz in Spezialbehältern einflog, um ihn aus der Luft abzuwerfen. Das jedenfalls habe ihm, so Conway, ein gewisser Tom Harrison erzählt, der mit den Verhältnissen vor Ort bestens vertraut sei.

Mit Tom Harrison tritt nun eine Person auf den Plan, die man schillernd nennen möchte, wenn das nicht eine krasse Untertreibung wäre. Seine Biographin Judith Heimann, eine Diplomatentochter, mit der er zeitweilig liiert war, nennt ihn „the most offending soul alive“, frei nach Shakespeares König Heinrich V., der von sich sagt: „Doch wenn es Sünde ist, nach Ehr' zu geizen, bin ich das schuldigste Gemüt, das lebt.“

Harrisons Ehrgeiz war in jungen Jahren geweckt, jedoch nie in enge Bahnen gelenkt worden. 1911 in Buenos Aires zur Welt gekommen und in England aufgewachsen, hatte er sich nacheinander als Ornithologe, Forschungsreisender, Rundfunksprecher, Ethnologe, Archäologe, Anthropologe und Dokumentarfilmer betätigt; eines seiner Projekte hieß „Mass-Observation“ und bestand darin, den Alltag von fünfhundert Briten bis ins Kleinste zu dokumentieren. Im Zweiten Weltkrieg trat er in die Armee ein und wurde im Rahmen einer Geheimdienstoperation hinter den feindlichen Linien auf Borneo abgeworfen, um dort mit angeworbenen Guerrillakämpfern aus den Reihen der Einheimischen gegen die Japaner vorzugehen. Die Dayakkrieger hätten die Gegner nach alter Sitte enthauptet und mit den Köpfen Fußball gespielt, erzählte Tom Harrison später.

Borneo wurde für Harrison zur dritten Heimat. Nach dem Krieg arbeitete er dort als Direktor am Sarawak State Museum für Naturgeschichte und unternahm eine Reihe von Expeditionen, bei denen er sich mit jedem anlegte, der ihm zufällig im Wege stand. Von seinen Abenteuern wusste Harrison blumig zu berichten. Aufsätze, die wissenschaftlichen Kriterien genügten, lagen ihm weniger. Als er zum Beispiel bei Ausgrabungen auf einen menschlichen Schädel stieß, der mit geschätzten 40 000 Jahren der älteste Fund dieser Art auf Borneo war, wurde dessen Echtheit von der Fachwelt angezweifelt und erst vierzig Jahre später durch neue Grabungen bestätigt.

Dieser Tom Harrison war es nun, der die Geschichte von den Katzen am Fallschirm in die Welt setzte. In seiner Version lief das so ab: Alarmiert durch die Rattenplage habe er am 23. November 1959 eine Funkbotschaft an die Luftfahrtgesellschaft Borneo Airways abgesetzt mit der Bitte, sie möge doch ein paar hungrige Katzen einfliegen, er werde auch dafür zahlen.

In der Hauptstadt Kuching und in den Küstenstädten habe man zahlreiche Streuner zusammen bekommen, die sich aber ziemlich frech benommen hätten, außerdem sei keine der verfügbaren Maschinen in der Lage gewesen, in der betroffenen Urwaldregion zu landen. So habe man sich schließlich an die Royal Air Force gewandt, die von Singapur aus eines ihrer Frachtflugzeuge in Gang gesetzt habe, um die Mission zu vollenden.

So weit die Quelle Tom Harrison. Sich auf einen einzigen Zeugen zu berufen ist nicht nur vor Gericht eine heikle Sache. Dieser neigte ohnehin dazu, seine Erlebnisse nach Kräften auszuschmücken. Als Dokument ist lediglich der schriftliche Entwurf von Harrisons mündlicher Funkbotschaft im malaysischen Nationalarchiv erhalten. Es gibt allerdings einen Veteranenverein von ehemaligen Angehörigen der Royal Air Force, der das Gedächtnis an die damaligen Versorgungsflüge in Südostasien wachgehalten hat.

Zum Einsatz kamen demnach schwere Frachtmaschinen vom Typ Blackburn Beverley, die im Prinzip alles transportieren und aus der Luft abwerfen konnten, was in ihren Bauch passte. Das reichte von Medizinpäckchen über Kartons mit Eiern, Tabak, Munition aller Art, Geländefahrzeuge und Bulldozer „bis hin zu lebenden Katzen, um eventuelle Rattenprobleme im Dschungel zu lösen“, wie auf der Website der Beverley-Veteranen nachzulesen ist. Und es existiert noch ein Dokument, das amtlicher nicht sein könnte.

Es handelt sich dabei um eine Eintragung im „Operations Record Book“, dem Hauptflugbuch, das die Royal Air Force damals auf dem Flughafen von Changi, einem Ortsteil von Singapur führte. Flying Officer Humphrey hat darin festgehalten, dass am 13. März 1960 eine Beverley des 48. britischen Luftwaffengeschwaders mit siebentausend Pfund Fracht an Bord aufgestiegen ist, um sie über der Ortschaft Bario im Hochland von Sarawak abzuwerfen. Einzeln aufgeführt werden eine Rüttelmaschine, Saatgut, vier Kartons mit Starkbier für den Stammeshäuptling sowie „over 20 cats to wage war on rats which were threatening crops“. District Officer Malcolm McSporran hat den Empfang bestätigt und sich insbesondere für die Katzen bedankt, die allesamt sicher gelandet seien.

Was will man mehr? Nach einiger Recherche findet sich zwar noch ein abweichender Report, der in der “Borneo Post” erschienen ist und unter Bezug auf ein Buch des Kolonialbeamten Alastair Morrison („Fairland Sarawak“, Cornell University 1993) behauptet, nicht Harrison, sondern McSporran selbst habe die Katzen angefordert, weil er im Schlaf von einer Ratte gestört worden sei, die sein Kopfkissen angenagt habe, um sich aus dem Material ein Nest zu bauen. Auch habe die Frachtmaschine wegen schlechten Wetters zwischenlanden müssen, und die Katzen, exakt 23 an der Zahl, seien bei der Ankunft ziemlich übellaunig gewesen. Ein weiteres Detail, an das sich Alastair Morrison erinnert, betrifft die Bettwanzen, die sich schlagartig vermehrt hätten, nachdem die Kakerlaken am Gift gestorben waren.

Aber egal. Unter dem Strich lässt sich festhalten: Es wurden auf Borneo tatsächlich Katzen mit Fallschirmen abgeworfen, um einer Rattenplage zu begegnen. Es waren nicht hunderttausend und nicht vierzehntausend und noch nicht einmal hundert Katzen. Sondern bloß knapp zwei Dutzend. So groß kann der Notstand also nicht gewesen sein. Und in technischer Hinsicht einmalig war die Aktion auch nicht: Im amerikanischen Bundesstaat Idaho waren kurz nach dem Krieg bereits mehrere Dutzend Biber per Flugzeug und Fallschirm umgesiedelt worden, nachdem sie sich zu stark vermehrt hatten; ein lange Zeit verschollen geglaubter Film mit dem Titel „Fur for the Future“, der dies dokumentiert, ist kürzlich wieder aufgetaucht und kann auf Youtube betrachtet werden.

Bleibt noch eine letzte und entscheidende Frage zu klären: War wirklich das DDT schuld? Bei den Anhörungen des amerikanischen Senats, die Ende der sechziger Jahre stattfanden und schließlich zum weitgehenden Verbot des umstrittenen Insektizids führten, sind die toten Katzen von Borneo selbstverständlich zur Sprache gekommen.

Der Biochemiker Thomas Jukes, der sich für den Einsatz von DDT mit aller Kraft in die Bresche warf, machte daraufhin eine Rechnung auf: Um eine fünf Kilo schwere Katze umzubringen, hätte sie an einem einzigen Tag mindestens 60 000 vergiftete Kakerlaken fressen müssen, denn für die sei bereits eine Dosis von 25 Mikrogramm tödlich. Menschen hätten erst recht nichts zu befürchten, hieß es damals, schließlich hätten Soldaten und Häftlinge, denen das Zeug anfangs massenhaft verabreicht wurde, bis dato keine Symptome gezeigt.

So viel stimmt: Im Vergleich zu anderen Organochlorverbindungen besitzt DDT tatsächlich den Vorteil, dass es gegen Insekten schon in geringen Konzentrationen wirkt. Akut giftig wird es für Menschen und Säugetiere erst in größeren Mengen. Die sogenannte LD50, also die Dosis, bei der in der Hälfte der Fälle der Tod eintritt, liegt für Ratten bei rund 300 Milligramm pro Kilo Körpergewicht. Katzen freilich reagieren auf Insektizide generell empfindlicher, weshalb den Besitzern geraten wird, vorsichtig mit Floh- und Zeckenpulver umzugehen.

Ruft man sich nun ins Gedächtnis, dass in den Hütten und Langhäusern auf Borneo zwei Gramm DDT pro Quadratmeter Wandfläche ausgebracht wurden, scheint ein anderer Mechanismus der Giftübertragung viel wahrscheinlicher. Katzen schubbern, wie jeder Katzenfreund weiß, gern mit der Schläfe an Wänden und Pfosten, um sie mit Hilfe der Duftstoffen zu markieren. Katzen sind außerdem reinliche Tiere, die sich regelmäßig das Fell lecken und dabei im Gesicht auch die Pfoten benutzen. Eine tödliche Menge an DDT hätten sie bei ihrer täglichen Körperpflege durchaus aufnehmen können.

Der Umweltexperte Patrick O’Shaughnessy, der viel zur Aufklärung der „Operation Cat Drop“ beigetragen hat, zählt eine Anzahl von Fällen auf, bei denen Katzen auf ähnliche Weise ums Leben kamen. In Bolivien beispielsweise brach 1965 nach einem DDT-Einsatz ein hämorrhagisches Fieber aus, weil Nagetiere sich danach unkontrolliert vermehren und den Erreger einschleppen konnten. Schädlingsbekämpfer, die im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca gegen die Malariamücken vorrückten, indem sie die Wände der Häuser mit dem Mittel besprühten, wurden von der Bevölkerung „los matagatos“, Katzenkiller, genannt. Die WHO gab Ende der sechziger Jahre zwar noch ein Statement heraus, in dem es hieß, es seien keinerlei Nebeneffekte an Haustieren beobachtet worden. Sie musste das später aber korrigieren.

DDT und Dieldrin zählen seit 2001 zum „dreckigen Dutzend“ der zwölf persistenten, also dauerhaft in der Umwelt verbleibenden organischen Schadstoffe, die nach dem Stockholmer Übereinkommen nicht mehr hergestellt, verkauft oder angewendet werden sollen. DDT darf allerdings weiterhin zur Bekämpfung von Krankheitsüberträgern wie der Malariamücke eingesetzt werden. Was für die einen ein Teufelszeug ist, gilt im Ernstfall immer noch als notwendiges Übel, das weit schlimmere Seuchen verhindern kann.

Um den Einsatz von Neonicotinoiden und Glyphosat tobt heute ein ähnlicher Meinungskrieg wie seinerzeit um das Dichlordiphenyltrichlorethan. Kann man aus dem alten Streit etwas lernen? Oder hatte Hegel recht, wenn er schrieb, dass die Geschichte lehrt, dass wir noch nie irgendetwas aus der Geschichte gelernt haben? „Operation Cat Drop“ zeigt immerhin eines: Nicht die Fakten sind ausschlaggebend. Sondern das, was die Mehrheit zu glauben und zu akzeptieren bereit ist.

© Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.September 2017