Ein Klon, ein guter Klon …

Von Jörg Albrecht

Stirbt das geliebte Haustier, ist die Trauer groß. Dabei gibt es längst neue Hoffnung

Manche Geschichten dauern etwas länger, bis sie ein Happy End finden. Zum Beispiel diese: „Amerikanischer Millionär lässt seinen Hund klonen.“ Das klang 1997 wie ein Scherz. Ein Jahr zuvor erst hatte Klonschaf Dolly Schlagzeilen gemacht. Und jetzt sollte die Großtat wiederholt werden? Um einen Vierbeiner zu verewigen?

Missy hieß der fragliche Mischling, eine Kreuzung aus Border Collie und Husky. Eine Seele von Hund, schwärmten die Besitzer. Das Ganze sei keineswegs als Witz gedacht, bestätigten Veterinäre von der Texas A&M University. Man brauche dafür nur die richtige Technik, genügend Zeit und Geld. Dank einer großzügigen Spende hätten sie alles zusammen. Sie nannten es „Projekt Missyplicity“.

In Duane Kraemers Büro am College of Veterinary Medicine stapeln sich die Zeugnisse eines langen Forscherlebens. Fachbücher, Sonderdrucke, Ehrenurkunden, Stahlschränke voller Hängeakten. An der Wand hängt sein Leitspruch: „Wir helfen Ihnen, Ihre Träume zu erfüllen. Also träumen Sie groß!“ Gleich nebenan die Laborräume. Das Reproductive Lab, ein quadratischer Flachbau am University Drive West, vollgestopft mit dem üblichen Equipment, wurde damals zum Hauptquartier.

Heikle Frage: Wie kommt man an Eier von Hunden?

Kraemer war zuständig für den heiklen Teil: Wie kommt man an reife Hundeeier? Weil Hündinnen in dieser Hinsicht chronisch unzuverlässig sind und nur alle sechs bis zwölf Monate läufig werden, musste eine ganze Meute her. Sechzig weibliche Beagles wurden auf dem weitläufigen Campus der Tiermediziner in einem eigens zu diesem Zeck errichteten Holzhaus im Südstaatenstil untergebracht, betreut von einer Trainerin, die sie, nach Abschluss der Experimente, auf Adoptionen durch zuverlässige Hundehalter vorbereiten sollte. „Housebreak Hotel“ (Hotel Stubenrein) hieß es unter den Mitarbeitern.

Täglich wurden Vagina und Hormonspiegel beobachtet, um den Zeitpunkt des Eisprungs nicht zu verpassen. War es so weit, schlüpfte Duane Kraemer in seine grünen Chirurgenoverall, anästhesierte die paarungsbereite Hündin, öffnete die Bauchdecke, tastete nach dem Eileiter, stülpte ihn nach außen, legte einen Katheter und spülte die Eier durch eine Kanüle in eine sterile Petrischale. Der Schnitt wurde wieder vernäht, die Hündin kam zurück zu ihren Artgenossinnen. Und Kraemers Team konnte ans Klonen gehen.

„Klonen“ war um die Jahrtausendwende herum das Reizwort schlechthin. Ein goldenes Zeitalter für Landwirte und Mediziner schien bevorzustehen. Oder der nächste Sündenfall der Menschheit. Noch grundsätzlicher wurde die Debatte, als sich herausstellte, dass Embryozellen auf dem Wege des Klonens prinzipiell zu jeder Art von Gewebe heranwachsen können; embryonale Stammzellen würde man bald zur Reparatur jeglicher Gebrechen verwenden, hieß es. Jedes Jahr musste man damit rechnen, dass irgendein Doktor Frankenstein oder eine Sekte das erste Klonbaby hervorzaubern würden. Und nun auch noch dieser texanische Bastard...

Eine Geschichte der misslungenen Experimente ist nie geschrieben worden. Es würde sich lohnen. Manche haben geholfen, unser Weltbild ein bisschen zurechtzurücken. Das Projekt „Missyplicity“ war eines davon.

Der Klonstar wurde per Learjet eingeflogen

Insgesamt 259 Eizellen konnte Duane Kraemer von seinen Beagles ernten. Die Hälfte davon erwies sich als brauchbar. Der Rest wurde mit Hilfe eines Mikromanipulators entkernt und mit Haut- und Schleimhautzellen fusioniert, die man der geliebten Missy entnahm. Der Klonstar wurde dazu per Learjet eingeflogen. Einer der Beteiligten, Lou Hawthorne, von dem später noch die Rede sein wird, schlug vor, zur Begrüßung das komplette Texas A&M-Kadettencorps in Paradeuniform und mit Spruchbändern am Flughafen aufmarschieren zu lassen. Die Veterinäre konnten es ihm angesichts der erwartbaren Schlagzeilen gerade noch ausreden.

Im Labor war die Prozedur stets dieselbe: Ein kurzer Stromstoß sorgte dafür, dass sich Haut- und Eizellen vereinigten. Immer wieder vollzogen die Texaner den künstlichen Zeugungsakt, kümmerten sich darum, dass die Zellen sich vermehrten, brachten auf diese Weise 131 „transferierbare Qualitätsembryonen“ zustande, die sie in 27 empfängnisbereite Hündinnen verpflanzten. Eine von ihnen wurde trächtig. Doch in der fünften Woche verstummten die Herztöne des Fötus. Er wurde mittels Kaiserschnitt abgetrieben. Eine DNA-Analyse ergab, dass es sich tatsächlich um einen Klon gehandelt hatte.

„Vielleicht hätten wir keine Beagles nehmen sollen“, sagte Duane Kraemer im Nachhinein. Möglicherweise war der Collie-Husky-Embryo-Klon zu groß, um ausgetragen zu werden. Kraemer ist heute neunzig Jahre alt und steht immer noch im Labor. Als Veterinärmediziner war er ein halbes Jahrhundert lang im Reproduktionsgewerbe. Da fährt man nicht nur Siege ein. In diesem Fall sprang nur die Erwähnung als Zweitautor einer Veröffentlichung in den (außerhalb von Fachkreisen nicht allzu häufig gelesenen) Jahresberichten der amerikanischen Gesellschaft für Säugetierfortpflanzung heraus: „Cloning the first dog: How close are we?“. Doch Kraemers Auftritt vor der Weltöffentlichkeit sollte noch kommen.

Dann kam Rainbow, die dreifarbige Glückskatze

Wer dann die Idee hatte, Rainbow zu klonen, lässt sich nicht mehr klären. Sie gehörte keinem Millionär, sie war nur eine der Versuchskatzen, die ebenfalls an der Texas A&M gehalten wurden. Kein Rassegeschöpf, keine Perser oder Kartäuser, wie sie auf Ausstellungen präsentiert werden. Sondern eine „domestic short hair“, eine gewöhnliche Hauskatze. Nur eines war an Rainbow besonders: Sie war rot, weiß und schwarz gescheckt.

Dreifarbige Katzen sind relativ selten, kommen aber in allen Rassen vor. Im Fachjargon wird ein derartiges Muster als „Schildpatt mit Weiß“ bezeichnet, im englischsprachigen Raum als „tortie“ („tortoise shell“, abgeleitet vom ähnlich gefärbten Panzer mancher Schildkröten) beziehungsweise „calico“ (von der indischen Stadt Kalikut, heute Kozhikode, die im ausgehenden Mittelalter für ihre phantasievoll bedruckten Baumwollstoffe berühmt war).

Dreifarbige Katzen gelten seit eh und je als Glücksbringer. „Sie schützen das Haus vor Feuer und die Menschen vor dem Fieber“, heißt es in Brehms Tierleben, „wer sie ertränkt, hat fernerhin kein Glück mehr, wer sie totschlägt, muss es von hinten tun.“ Dreifarbige Katzen an Bord eines Schiffes sollen Stürme fernhalten. In Japan sind sie besonders beliebt: Maneki Neko, die allgegenwärtig winkende Katzenfigur, wird meist in der dreifarbigen Ausführung verkauft. Der Legende nach soll Fürst Naotaka von einer Calico während eines Gewitters in ein Kloster hineingewunken worden sein, was ihm das Leben rettete, weil in den Baum, unter dem er Schutz gesucht hatte, gleich darauf ein Blitz einfuhr. Anderen Quellen zufolge setzte die Verbreitung des Katzensymbols erst im 19. Jahrhundert ein, als japanische Bordellbesitzer unter der westlich orientierten Meiji-Regierung gezwungen wurden, ihre hölzernen Glücks-Phalli vom Hausaltar zu holen und durch ein unverfänglicheres Symbol zu ersetzen.

War Aberglauben im Spiel?

Hatten die Texaner seinerzeit? Hintergedanken? War eine Prise Aberglauben im Spiel, weil es einfach nicht klappen wollte? „Wir haben uns nicht groß was dabei gedacht“, sagt Duane Kraemer. Aus seiner Sicht hätte es auch irgendeine andere Katze sein können. Generell haben Katzen aus der Sicht eines Reproduktionsmediziners Vorteile gegenüber Hunden. Künstliche Befruchtung wird an der Hauskatze seit längerem praktiziert; Zoologen dient sie als Modell für ihre wild lebenden Verwandten, die, angefangen vom Luchs bis zum bengalischen Tiger, allesamt vom Aussterben bedroht sind.

Kraemer konnte also auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen, als er sich daranmachte, statt einer Missy-Kopie erst einmal ein Katzen-Ebenbild zu klonen. Schon das Ausgangsmaterial war wesentlich einfacher zu beschaffen: Eine Sterilisierungsklinik in Houston lieferte Eierstöcke in der gewünschten Menge. Sie wurden mit dem Skalpell zerhackt, die Eizellen unter dem Mikroskop aussortiert und 24 Stunden lang in einer hormonell angereicherten Nährbrühe kultiviert.

Anders als beim Hund wachsen Katzen-Eizellen auch außerhalb des Körpers bis zur Befruchtungsreife heran. Weil geschlechtsreife Katzen zwischen Frühjahr und Herbst alle zwei bis drei Wochen rollig werden, standen außerdem jederzeit genügend Ersatzmütter zur Verfügung, die den Klon austragen konnten. Kopfzerbrechen bereitete immer noch der eigentliche Akt des Klonens.

Bis heute ist unklar, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass eine erwachsene Körperzelle, die nicht zur Keimbahn gehört, wieder in ihren Urzustand zurückkehren kann. Um eventuell einen neuen Organismus hervorzubringen, müssen längst stillgelegte Gene wieder angeschaltet werden. In der Keimbahn durchlaufen Ei- und Samenzellen zu diesem Zweck eine komplizierte Reifeteilung, die Meiose, bei der die elterlichen Erbanlagen neu gemischt und anschließend zu einem einfachen Chromosomensatz reduziert werden. Bei asexueller Fortpflanzung wie dem Klonen fällt dieser Vorgang flach.

Das Geheimnis der Jungbrunnen-Kur

Was geschieht stattdessen? Es liegt auf der Hand, dass die Rückprogrammierung einer erwachsenen Körperzelle in den jungfräulichen Status nicht durch die Gene der empfangenden Eizelle gesteuert werden kann - schließlich werden sie beim Klonen samt Zellkern komplett entfernt. Es müssen „epigenetische“ Faktoren aus dem umgebenden Zellplasma sein, die das lange Zeit nicht für möglich gehaltene Wunder einer Jungbrunnen-Kur vollbringen.

Stammzellforschern ist es mittlerweile gelungen, einige dieser Faktoren zu identifizieren. Ob sie allein schon zur „Totipotenz“ führen, also zur Fähigkeit einer Zelle, prinzipiell alle Arten von Körperzellen hervorzubringen, oder nur zu eingeschränkter „Pluripotenz“ - das gehört zu den zentralen Fragen der Stammzellforschung.

Fürs Klonen allerdings ist ein tiefes Verständnis zellbiologischer Grundlagen nicht unbedingt erforderlich. Die Technik schreitet eher nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum fort. Viel hängt von manuellem Geschick, der Zusammensetzung der Nährmedien und anderen technischen Kniffen ab, die von Labor zu Labor weitergereicht werden, oder auch nicht, je nachdem, wie scharf der Wettbewerb gerade ist.

1997, als das Projekt Missyplicity anlief, besaßen nur eine Handvoll Forscher die nötige Expertise, um ein Säugetier zu klonen. An Versuchen hatte es zwar nicht gefehlt: Der vom Bodensee stammende Österreicher Karl Oskar Illmensee behauptete bereits Anfang der achtziger Jahre, drei Mäuse geklont zu haben. Nur konnte niemand seine Versuche wiederholen. Öffentlich wurde er daraufhin geächtet, doch in manchen Fachkreisen hielt sich die Bewunderung für sein „magisches Händchen“. Nicht nur Ian Wilmut und Keith Campbell vom schottischen Roslin Institute hielten Illmensees Experimente für einen Geniestreich. Ohne sein Vorbild hätten sie sich gar nicht erst an das Klonen eines Schafs herangemacht, gestanden sie Jahre später.

Auch in Nordamerika und Südkorea trieben Forscher wie Steen Willadsen oder Hwang Woo Suk im Stillen das Klongeschäft, ohne groß an die Glocke zu hängen, worauf sie hinauswollten. In Texas, wo die hochtechnisierte Zucht von Rindern Tradition hat und man in Ethikfragen eher robust veranlagt ist, schaute der eine oder andere Fortpflanzungskundler mal vorbei. Hier schien sogar genügend Geld da zu sein, ein im Prinzip überflüssiges Schoßtier zu klonen. Wer immer sich das wünschte - er konnte es sich offenbar leisten.

Ein Milliardär kommt ins Spiel

In Wahrheit war das sogar noch untertrieben. Denn die großzügige Spende an die Veterinäre der Texas A&M stammte, wie sich nach und nach herumsprach, von John Sperling. Der Sohn eines Eisenbahnarbeiters aus Missouri hatte es zwar nicht vom Tellerwäscher, aber immerhin vom Matrosen der Handelsmarine zum Milliardär gebracht. Die University of Phoenix, Amerikas größte private Bildungseinrichtung mit einem Börsenwert von knapp 14 Milliarden Dollar, war sein Lebenswerk.

Sperlings Engagement für die Klonforschung war privaten Ursprungs. Missy gehörte Joan Hawthorne, einer guten Bekannten, beide hielten den Mischling für geeignet, in die Annalen der Biologie einzugehen. Joan Hawthornes Sohn Lou, der sich bis dahin als Dokumentarfilmer und Multimediadesigner hervorgetan hatte, bekam den Auftrag, die Sache in die Hand zu nehmen. Als Erstes gründete er ein Joint Venture. Seine eigenes Unternehmen nannte er „Bio-Arts and Research Corporation“, hauptsächlich deshalb, weil ihm die Abkürzung „Barc“, das amerikanische Pendant zu „Wuff!“, so gefiel. „Lou hatte immer solche Einfälle“, erinnert sich Duane Kraemer.

Die A&M-Veterinäre hätten das Projekt Missyplicity gern ein wenig diskreter durchgezogen, doch das lag ganz und gar nicht in Hawthornes Sinn. Nachdem ein Reporter der BBC die obskure Geschichte von den Hundeklonern vorzeitig in die Welt gesetzt hatte, konnte sich Kraemers Chef und früherer Schüler Mark Westhusin vor Interviewanfragen kaum noch retten. Ganz zu schweigen von den Tierschützern, die auf die armen Geschöpfe in den Tierheimen hinwiesen, die zu Zehntausenden ein neues Zuhause suchten. Wozu noch einen Hund klonen, wenn es doch schon so viele gab?

“Mein Hund liegt in der Tiefkühltruhe. Könnt ihr ihn neu machen?”

Westhusin und Hawthorne richteten eine Internetseite ein, auf der sie für ihr Projekt warben. Damit kam eine zweite Welle ins Rollen. E-Mails trafen ein: „Mein Hund ist gestorben, er liegt in der Tiefkühltruhe. Könnt ihr aus seinen Zellen einen neuen machen?“ Oder: „Was würde es kosten, meinen Kater George zu klonen?“ Glänzende Geschäftsaussichten, fand Lou Hawthorne. Und hatte bereits den Namen für eine neue Firma: „Genetic Savings&Clone“, eine Anspielung auf den seinerzeit noch solide scheinenden Handel mit Darlehen und Sparguthaben.

Der Businessplan klang einleuchtend: Wenn man zum Preis von tausend Dollar vorsorglich auch nur die Zellen eines zehntel Prozents aller amerikanischen Hunde einfrieren würde, wäre das allein schon ein Umsatz von fünfzig Millionen Dollar pro Jahr. Später, wenn die Technik dazu reif wäre, könnte man mit dem Klonen des gelagerten Zellmaterials in Serie gehen und den Preis nach und nach von 2,5 Millionen auf 250.000 Dollar pro geklontes Tier senken, mit weiteren Preisnachlässen von fünfzig Prozent pro Jahr. Irgendwann sei ein lukrativer Börsengang die logische Folge. Es gab nur einen Haken: Das Einzige, was man vorweisen konnte, war eine Hundefehlgeburt.

So ruhten jetzt alle Hoffnungen auf den Katzenexperimenten. Wenn die funktionierten, würde man es erneut mit Missy probieren. Eine von Duane Kraemers Lebensweisheiten könnte man mit einer unwesentlich abgewandelten Zeile aus einem Song der britischen Popgruppe Mike & the Mechanics zusammenfassen: „Every body gets a second chance.“ Was Katzen betraf, hatte Kraemer Eizellen, so viel er nur wollte. Nach dem Empfängniszyklus der potentiellen Ersatzmütter konnte man die Uhr stellen. Blieb die Frage: Welche Körperzellen würden sich am besten zum Klonen eignen?

Das Team entschied sich zunächst, wie bei Missy, Fibroblasten aus der Mundschleimhaut zu verwenden. Dabei handelt es sich um eine Art Bindegewebe, das noch wenig differenziert ist, vielleicht nur ein paar Schritte von der Totipotenz entfernt. Knapp zweihundert Mal wurden Ei- und Schleimhautzellen nach der üblichen Stromstoßmethode verschmolzen. 82 Embryonen wuchsen in der Petrischale heran. Sieben potentielle Katzenmütter wurden befruchtet. Wiederum eine wurde trächtig. Doch abermals starb der Fötus.

Kurz davor, die Flinte endgültig ins Korn zu werfen, entschlossen sich die frustrierten Texaner zu einem letzten Experiment. Vielleicht spekulierte einer von ihnen doch: Nehmen wir eine Glückskatze, schaden kann es nicht. So oder so wählten sie Rainbow. Und zum Klonen nahmen sie diesmal keine Fibroblasten, sondern Cumuluszellen. Diese Art von Zellen finden sich im Eileiter, ihre Aufgabe besteht normalerweise darin, eine reifende Eizelle zu ernähren, bevor sie selbst zugrunde gehen. Aber jetzt wuchsen sie aus irgendeinem Grund über sich heraus: Nur drei Embryonen und eine Ersatzmutter namens Allie (aus einer Zuchtanstalt für Versuchstiere in Wisconsin) waren nötig, um den Glücksklon zu produzieren, auf den alle so sehnsüchtig gewartet hatten.

“Copy Cat” kam 2001 zur Welt, lebhaft wie jedes Kätzchen

Er kam am 22. Dezember 2001 durch Kaiserschnitt zur Welt, lebhaft wie nur je ein Kätzchen. Die Texaner tauften es CC. Wie „copy cat“ oder „carbon copy“ (Kohlepapier-Durchschlag), ein Begriff, der sich aus dem Zeitalter der Schreibmaschine in die Welt der E-Mails herübergerettet hat.

CCs süße Erscheinung brachte den Katzenklon sofort auf die Seiten von Nature. Und von da aus direkt in die Redaktionen und Herzen von Lesern und Zuschauern in aller Welt. Die sich nach einem Moment des Entzückens die Augen rieben: CC sah zweifellos anders aus als Rainbow. Nicht dreifarbig, sondern zweifarbig. Schwarz und weiß, ohne jede Spur von rot. CC war keine Kopie. Sondern ein Individuum mit nicht vorhergesehenen Eigenschaften.

Für Lou Hawthorne war es noch etwas mehr als das, nämlich ein Desaster. „Wir hatten auf einmal die zweifelhafte Ehre, den ersten Klon der Welt produziert zu haben, der nicht seinem Spender ähnelt.“ Keine guten Voraussetzungen für einen Börsengang.

Was war passiert? Waren Proben verwechselt worden? Ähnlich wie in einem Kriminalfall wurden genetische Fingerabdrücke von Rainbow, von ihren Cumuluszellen, von CC und seiner Ersatzmutter Allie genommen. Der Vergleich von sieben individuell hoch variablen DNA-Abschnitten räumte den Verdacht der Schlamperei vom Tisch: Rainbows Muster war in allen Punkten identisch mit dem von CC, das von Allie nur in einem einzigen. Also konnte man getrost annehmen, dass auch der Rest des Erbguts übereinstimmte.

In ihrer Nature-Veröffentlichung deuteten Kraemer und seine Kollegen an, warum die Cumuluszellen der Glückskatze keinen dreifarbigen Klon-Zwilling hervorgebracht hatten: „Wie bei anderen Tieren unterliegen die Fellfarben bei Katzen nicht nur genetischen Faktoren, sondern auch Einflüssen auf die Entwicklung, die nicht vom Erbgut gesteuert werden.“ Das war im Februar 2002 schon ein beherzter Satz. Die Mehrheit der Genetiker und des Publikums war zu diesem Zeitpunkt noch felsenfest davon überzeugt, die Entzifferung des Genoms werde auch die letzten Geheimnisse lüften.

Doch leider sah der Klon ganz anders aus, als gedacht

Die Fellfarben der Katze sind ein schönes Beispiel dafür, dass die Dinge nicht ganz so einfach liegen. Natürlich spielen Gene eine Rolle. Sie sind verantwortlich für die Produktion der Haarpigmente. Eumelanin färbt sie, je nach Konzentration, braun bis schwarz, Phäomelanin bringt gelbe bis rötliche Töne hervor. Konkret geht es etwas komplizierter zu: Weiße Katzen beispielsweise tragen entweder ein dominantes Gen (W), das alle anderen Farben unterdrückt, obwohl die betreffenden Gene durchaus vorhanden sind. Man spricht dann von einer epistatischen Wirkung, die aber in der nächsten Generation wiederaufgehoben sein kann, wenn zwei rezessive Varianten dieses Gens aufeinandertreffen (ww). Weiße Katzen können aber auch Albinos sein.

Bei Albinokatzen ist ein normalerweise dominantes Gen (C) mutiert, das den Beginn der Pigmentsynthese steuert. Von dieser Mutation gibt es wiederum drei Formen: eine, die zu einem kompletten Albino mit roten Augen führt (c). Und zwei, die temperaturabhängig sind (cb und cs), weshalb sie an unterschiedlich warmen Stellen des Körpers unterschiedlich stark in Erscheinung treten. Die Kombination cbcb findet man bei Burma-Katzen, die Kombination cscs bei Siamesen und die Kombination cbcs bei Tonkinesen.

Ähnliche Vererbungsmuster existieren für braune bis schwarze Haarfarben, wobei diverse Kontroll- und Regulationsgene für Verstärkung, Verdünnung oder Unterdrückung der eigentlichen Farbgene sorgen, was zu silbernen, blauen, creme- oder fliederfarbenen Tönen führen kann. Nimmt man noch die entsprechenden Gene für die verschiedenen Fellmuster der Katze hinzu, hat man bereits ein genetisches System, in dem sich selbst professionelle Züchter nicht immer zurechtfinden.

Das zum Teil temperaturabhängige Merkmal Weiß zeigt aber auch, dass die Umwelt ein gewichtiges Wort mitspricht. Dem würde noch kein Genetiker alter Schule widersprechen. Hart wird es für die Anhänger des genetischen Determinismus, wenn ein Faktor hinzukommt, der sich nun gar nicht mehr mit der reinen Lehre vereinbaren lässt. Die Rede ist vom Zufall.

Dass Copy Cat nicht aussah wie Rainbow, lag daran, dass die Farbe Rot von einem dominanten Gen (O) festgelegt wird, das auf dem weiblichen Geschlechtschromsom X liegt. In seiner rezessiven Form (o) führt dasselbe Gen zur Eigenschaft „nicht Rot“, also beispielsweise zu Schwarz. Jeder Kater mit dem männlichen Chromosomentyp XY, der nur eine Kopie des dominanten Rot-Gens trägt, ist dann rot, jeder Kater mit der rezessiven Variante schwarz. Weibliche Katzen besitzen zwei X-Chromosomen. Die Kombinationen OO und Oo definieren dann ein rotes Weibchen, nur die Kombination oo äußert sich in Schwarz. OO ist aber keineswegs noch röter als Oo oder O. Sondern nur genauso rot. Und das hat gute Gründe.

Ehe die Evolution so weit war, Geschlechtschromosomen hervorzubringen, hing die Entscheidung, ob der Nachwuchs männlich oder weiblich werden soll, eher von äußeren Umständen ab. Bei Krokodilen und vielen anderen Reptilien ist die Umgebungstemperatur heute noch der entscheidende Faktor: Unterhalb 30 Grad Celsius schlüpfen Weibchen, oberhalb davon Männchen. Es musste erst ein genetisches Rezept gefunden werden, um die Festlegung des Geschlechts ins Erbgut zu verlagern.

Die heute favorisierte Theorie besagt, dass dies eine Mutation auf dem Y-Chromosom war, die von einer so großen Umlagerung des Erbmaterials begleitet wurde, dass sich die beiden ursprünglich gleich großen Geschlechtschromosomen während der Reifeteilung nicht mehr paaren und folglich auch keine Gene mehr austauschen konnten. In der Folge verkümmerte der männliche Y-Partner, bis er nur noch wenige Gene besaß. Das weibliche X-Chromosom behielt dagegen seinen Genreichtum.

Das weibliche X-Chromosom machte nicht mit

Man hat dort mehr als tausend Gene entdeckt, von denen überdurchschnittlich viele im Gehirn aktiv sind. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass Frauen sehr viel klüger sind als Männer, weil sie ja einen doppelten Satz davon besitzen. Doch die Natur hat dem einen Riegel vorgeschoben: Schon im Laufe der frühen Embryonalentwicklung eines Säugetierweibchens wird in den Zellen jeweils eines der X-Chromsomen inaktiviert. Allerdings nicht vollständig. Und auch nicht in allen Zellen dasselbe. So dass erstens alle weiblichen Säugetiere ein Mosaik von Körperzellen mit verschiedener genetischer Ausstattung sind. Und zweitens immer ein paar unerwartete Effekte auftreten können; restlos ist auch der Vorgang der Inaktivierung des X-Chromosom nicht verstanden

Und was heißt das nun im Falle einer Glückskatze? Es heißt, dass sich schlicht nicht voraussagen, lässt in welcher Vorgängerzelle einer Haarzelle welches X-Chromosom stillgelegt wird. Auf dem einen liegt ein Gen für Rot, auf dem anderen ein Gen für Schwarz. Die spätere Verteilung im Fell kommt willkürlich zustande, während sich der Weißanteil nach den geschilderten Vererbungsregeln richtet. Bei Rainbow erwischten die texanischen Kloner rein zufällig eine Cumuluszelle, die die Genkombination oo enthielt. Es hätte genauso gut andersherum kommen können.

Das alles ist mehr als eine Kuriosität, sondern nur ein kleiner Ausschnitt der Möglichkeiten, die sich aus dem Zusammenspiel von Erbgut und Rahmenbedingungen ergeben. Was sich über die Fellfarbe sagen lässt, gilt prinzipiell auch für alle anderen Gene, die auf dem X-Chromosom angesiedelt sind. Nur treten die im Allgemeinen nicht so deutlich in Erscheinung. Trotzdem dürfte die Klonkatze CC sich in einigem mehr von Rainbow unterscheiden als nur im Aussehen.

Rein geschäftlich war das ein Offenbarungseid

Rein geschäftlich gesehen war das ein Offenbarungseid. Charles Long war zwischen 1999 und 2002 Manager bei Genetic Savings&Clone. Richtig witzig fand er das Ergebnis damals nicht. „Hätten wir einen Labrador geklont, hätte keiner was auszusetzen gehabt. Ein verdammter Labrador sieht doch aus wie jeder andere.“ Charles Long ist in den Schoß der Texas A&M zurückgekehrt. Als Akademiker kann er dem Ergebnis heute sogar etwas Gutes abgewinnen. „Ein Klon ist eben keine Wiederauferstehung, auch wenn Lou Hawthorne das immer noch glaubt.“

Im Nachhinein muss man sagen: Die Geschichte der geklonten Glückskatze ist eigentlich ein perfekter Film-Stoff. Dazu gehört dann auch die Frage: Wie ging es weiter?

Die Antworten, der Reihe nach: Klonschaf Dolly wurde am 14. Februar 2003 im Alter von sechs Jahren eingeschläfert, weil sie an einer schweren Lungenkrankheit und Arthritis litt. Missy siedelte 2002 im Alter von 13 Jahren in die Ewigen Jagdgründe über.

Duane Kraemer half 2003, den ersten geklonten Weißwedelhirsch zur Welt zu bringen. Er erhielt Kraemers Spitznamen „Dewey“. Warum ein Weißwedelhirsch? Nun, in Texas zählt die Jagd zu den wichtigsten Dingen überhaupt. Deweys Klonvorbild trug, als es erlegt wurde, ein kapitales Geweih (sagenhafte 232 Punkte auf der Skala des Boone and Crockett Clubs, der solche Dinge penibel dokumentiert). Kraemer hat seinem Chef inzwischen bedeutet: „Wenn du meinst, ich sei zu alt, schmeiß mich einfach raus.“ Kommt nicht in Frage, hat der geantwortet. Das Reproductive Lab zog weiter weg vom Campus in neue Räume. Die Beagle-Hündinnen aus dem „Housebreak Hotel“ konnten nach Ende der Versuche größtenteils an tierliebe Halter vermittelt werden.

Dann übernahm Südkorea. Es wurde ein Forschungsskandal

Lou Hawthorne war von der Zusammenarbeit mit der Texas A&M enttäuscht. 2005 nahm er Kontakt zu Hwang Woo Suk auf, der zu diesem Zeitpunkt nicht nur im Ruf stand, als erster Forscher überhaupt maßgeschneiderte Embryozellen geklont zu haben, sondern auch noch den ersten Hund, und zwar einen Afghanen namens Snuppy (zu Ehren seines Arbeitgebers, der Seoul National University). Ersteres stellte sich bald als Fälschung heraus, Letzteres wird bis heute als Hwangs Leistung anerkannt. Fünftausend Afghanenweibchen dienten dem Koreaner als Eizelllieferanten, was wohl nur in einem Land möglich ist, in dem Hunde auch gegessen werden. Zwischen Ende 2007 und Mitte 2008 kamen dann in Seoul tatsächlich vier Klone zur Welt, die aus Missys eingefrorenen Zellen hervorgegangen sein sollen: Mira (benannt nach einer mächtigen, aber gütigen koreanischen Drachenfigur), Chingu (koreanisch für „Freund“ ), Sarang („Liebe“) sowie „MissyToo“.

Joan Hawthorne weigerte sich, auch nur einen der Klone bei sich aufzunehmen, wofür ihr Sohn Lou sogar Verständnis hat: „Wir reden hier von Hunden, die zu drei Vierteln Border Collies sind. Das sind ziemlich lebhafte Gesellen.“

Die Firma Genetic Savings&Clone schloss im September 2009 ihre Pforten. Zuletzt hatte Hawthorne noch einen „Golden Clone Giveaway“ veranstaltet, bei dem als erster Preis ein kostenloser Klonhund winkte. Trotz Reklame durch die Medien meldeten sich nur 237 Interessenten. Vorangegangen war ein endloser Rechtsstreit um die Frage, wer eigentlich die einschlägigen Klon-Patente nutzen durfte, die auf verschlungenen Wegen vom schottischen Roslin Institute in den Besitz der texanischen Firma Viagen gelangt waren.

Hinter Letzterer wiederum steckte niemand anderes als John Sperling. Es stellte sich heraus, dass „Projekt Missyplicity“ nur der Auftakt zu einer größeren Unternehmung war. Sperling nahm sich vor, das menschliche Leben zu verlängern. Zur Erforschung „biologischer Unsterblichkeit“ stellte er 2004 die Gründung einer drei Milliarden Dollar schweren Stiftung in Aussicht. Mittlerweile haben sich seine Pläne offenbar wieder geändert; der Chronicle of Higher Education berichtete im vergangenen Jahr, John Sperling sei nun mehr daran interessiert, das Klimaproblem zu lösen. Die geklonte Rainbow starb in ihren mittleren Jahren an Krebs.

Der Rest von der Geschichte

Karl Oskar Illmensee arbeitete zuletzt als Reproduktionsmediziner an einer Fortpflanzungsklinik im griechischen Paras. Seine Spezialität war das „Embryosplitting“ bei dem ein angehendes Retortenkind in Zwillinge geteilt wird.

Steen Willadsen forschte in den Vereinigten Staaten an mehreren Privatinstituten weiter; 2005 wurde er mit dem Pioneer Award der International Embryo Transfer Society ausgezeichnet.

Ian Wilmut gelangte im Laufe der Jahre zu der Ansicht die Technik des Klonens sei „irrelevant“. Mark Westhusin fand wieder mehr Zeit, auf die Jagd zu gehen.

Und CC, die klonierte Glückskatze?

Duane Kraemer hat ihr in ehrlicher Heimwerkermanier auf seinem Grundstück sechs Meilen vom Campus entfernt ein zweistöckiges Holzhaus errichtet. Dort lebte die verhinderte Glückskatze mit Kater Smokey, von dem sie 2006 vier Kätzchen empfing. Eines starb bei der Geburt, was schon mal vorkommt, drei namens Tim, Tess und Zip leisteten den Eltern bis zu ihrem Ableben Gesellschaft. „Ich hatte solche Angst, dass sie vielleicht ohne Ohren oder sonstwie verunstaltet zur Welt kommen“, sagte Duanes Ehefra Shirley im Nachhinein.

Soweit man das beurteilen kann, waren alle fünf Katzen völlig normal. Aber was heißt schon normal bei Katzen?

Quelle: F.A.S.