Grüne Häuser

Die Begrünung von Gebäuden gewinnt durch den Klimawandel an Bedeutung. Doch auf Dauer halten sich dort nur anspruchslose Gewächse.

Die üblichen Verdächtigen: Hauswurz, Mauerpfeffer und Steinbrech

Hauswände und -dächer sind extreme Standorte, vergleichbar mit Felsen und ähnlich unwirtlichen Standorten. Am besten gedeihen dort Sukkulenten. Das sind (wörtlich „saftreiche“) Pflanzen, die die Fähigkeit besitzen, Wasser für Notzeiten speichern. Am bekanntesten sind die Kakteen. Aber Sukkulenz kommt auch in zahlreichen anderen Pflanzenfamilien vor. Gärtnereien bieten vor allem drei davon an: Dachwurz (Sempervivum), Mauerpfeffer (Sedum) und Steinbrech (Saxifraga). Um welche Arten es sich im einzelnen handelt, wird meist unterschlagen, dabei sind ihre Bedürfnisse durchaus verschieden. 

Zwei echte Überlebenskünstler

Der Ehrgeiz der Architekten geht freilich weiter. Sie wollen nicht nur Dächer, sondern auch Fassaden begrünen. Wie man sie auf spektakuläre Weise bepflanzt, hat der Franzose Patrick Blanc vorgemacht; jüngstes Beispiel ist das Hochhaus Le Nouvel in Kuala Lumpur, das er mit zweihundert verschiedenen Art von Klettergewächsen bestückte. Der technische Aufwand für seine Projekte ist allerdings enorm, denn irgendwie muss das Grünzeug ja befestigt, bewässert und und kälteren Regionen über den Winter gebracht werden. Da liegt der Gedanke nahe, es mit Moos zu versuchen.

Moos bringt von Natur aus wenig Gewicht mit, saugt sich mit Regenwasser voll, gibt es wieder ab und übersteht auch Trockenzeiten. Sogenannte Geotextilien aus Polymergeweben, die mit Moos überwachsen sind, kamen vor zehn Jahren in den Handel. Gedacht waren sie zur Dachbegrünung. Man versprach sich einiges von ihnen: Sie sollten nicht nur für ein besseres Mikroklima sorgen, sondern auch Feinstäube und andere Schadstoffe aus der Luft filtern. In einem Modellversuch wurden an einer vielbefahrenen Stelle der Bonner Autobahn 562 auf 150 Metern Mittelstreifen Moosmatten ausgelegt, um herauszufinden, ob sie in der Praxis hielten, was zuvor Laborversuche ergeben hatten. Eine wissenschaftliche Auswertung fand jedoch nicht mehr statt.

Auch mit Moos wird experimentiert

Bis heute sind die Meinungen über über den Nutzen von Moos zur Luftreinhaltung geteilt. Das Umweltbundesamt hat zu verstehen gegeben, dass es nicht viel von der Methode hält. Skeptiker bezweifeln, dass es einen messbaren Nutzen gibt. Das hat die Stadt Stuttgart nicht davon abgehalten, an Deutschlands dreckigster Straße, dem Neckartor, eine hundert Meter lange Mooswand aufzustellen, die vor kurzem mit Purpurstieligem Hornzahnmoss (Ceratodon purpureus) und dem Grauen Zackenmützenmoos (Racomitrium canescens) bepflanzt wurde. Bauingenieure der Universität Stuttgart sollen den Versuch begleiten.

In Berlin wiederum hat die Start-up-Firma Greeen City Solution eine Art Stadtmöbel entwickelt, das aus einer zwölf Quadratmeter großen Wand besteht, die mit Blütenpflanzen und Moos begrünt wird und automatisch per Mail mitteilt, wann es Zeit wird, sie zu begießen. Ein einziger dieser „City Trees“ soll angeblich 240 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr binden, 73 Kilo Feinstaub einsammeln und damit so viel Wirkung entfalten wie 275 ausgewachsene Bäume. Das Unternehmen hat schon etliche Preise eingeheimst und seine Moosbäume unter anderem in Dresden, Berlin und Oslo aufgestellt; mit China, Indien und Dubai sei man in Verhandlungen.

Hinter solche Zahlengaben darf man ruhig ein Fragezeichen setzen. Nicht zu unterschätzen ist dagegen der psychologische Effekt, der von grünen Moospolstern ausgeht. Man sieht das in manchen Wellnesstempeln, wo Natürlichkeit und Wohlbefinden mit Hilfe von Mooskugeln beschworen wird. Auch Empfangsräume und Büros werden gern mit Moosbildern dekoriert, die noch nicht einmal gewässert werden müssen und noch in der dunkelsten Ecke aushalten, weil sie aus Flechten- und Moos bestehen, das mumifiziert und mit Lebensmittelfarbe behandelt wurde. Hin und wieder abstauben genügt.

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Enthaltsam wie der Löwenzahn