Ernte 22 🍏

Nie war sie so üppig wie heute

Da sitzt der Gärtner in der goldenen Oktobersonne, und was geht im durch den Kopf? Rainer Rilke natürlich: “Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.” Der Apfelbaum hatte prächtig geblüht und angesetzt wie noch nie. Es folgten Hitzewelle und Trockenheit, er schmiss eine Frucht nach der anderen ab, doch es blieben weit mehr übrig, als er tragen konnte. Die unteren Äste mussten mit Holzlatten gestützt werden, trotzdem brach einer von ihnen ab.

Die letzte Süße

Der September brachte endlich Regen und ließ die Äppel auf Rekordgröße anschwellen. Auf den letzten Metern gab der Monat dann noch einmal richtig Gas. Ganz so, als wollte er Rilke folgen: “Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gieb ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.” (Aus: “Das Buch der Bilder”)

Nun liefert die Schafsnase, um die es sich in meinem Fall handelt, ohnehin ziemlich große Exemplare. Roh, als Apfelmus oder als Kuchenbelag haben sie kein besonders ausgeprägtes Aroma. Dafür eignen sie sich bestens zum Mosten. An die zwei Zentner habe ich sorgsam mit der Hand gepflückt (und mindestens zwanzig mal so viel vergammeln lassen).

Die mobile Kelterei vom Main-Äppelhaus am Frankfurter Lohrberg kam erst Wochen später. Wohin bis dahin mit dem Segen?

Ein fauler Trick

Ich beschloss, es mit der Methode “Appassimento“ (Schwund) zu probieren, die auch dem italienischen Rotwein Amarone aus dem Valpolicella auf die Sprünge hilft. Die besten Trauben werden dort gelagert, bis ein Teil ihres Wassers verdunstet ist und sich Zucker, Säure und Geschmacksstoffe konzentriert haben. Man muss das Lesegut aber täglich kontrollieren und fleißig aussortieren, was fault. Meine Schafsnase überstand das in der Dunkelheit der Gartenhütte erstaunlich gut.

Der Tag der Wahrheit

Am 16. Oktober war es so weit. Der Kelterwagen vom Lohrberg machte auf seiner Tour durch das Rhein-Main-Gebiet in Bad Vilbel Halt. Zum Einsatz kam die bewährte Bandpresse EBP580 der österreichischen Firma VORAN MASCHINEN, mit der sich bei Bedarf auch Birnen, Quitten, Karotten oder sogar Maniok (wozu der bloß?) entsaften lassen. Ein beeindruckendes Stück Technik.

Und was kommt dabei raus?

Meinen Äpfeln rückte die Profipresse mit einer Nennleistung von rund tausend Kilogramm pro Stunde auf den Pelz. Aus zwei Zentnern machte sie achtzig Liter Most. Mit vierzig Euro war ich dabei. 80 % Ausbeute ist wohl das Maximum.

Nur zum Vergleich: Bei früheren Versuchen mit dem Küchenentsafter kam ich höchstens auf 20 Prozent, in manchen Jahren gewann ich auch nur Schaum. Das Gerät allein hat mich 150,- Euro gekostet. Für weitere 250,- Euro erwarb ich eine Rätzmühle samt Obstpresse; man kann auch das zehnfache dafür ausgeben. Ausbeute: zirka 30 bis 40 %.

Beide Verfahren setzen stundenlange Handarbeit voraus, man schlägt sich mit hungrigen Wespen herum, bekommt am Ende eine Sehnenscheidenentzündung und garantiert Ärger mit der Hausfrau, weil die Küche hinterher aussieht wie Sau. Draußen im Freien geht es etwas besser, aber dann spielt das Wetter häufig nicht mit. In vorindustriellen Zeiten hat sich das ganze Dorf zusammen getan, um die Apfelernte zu bewältigen. Aber das ist vorbei.

Sein eigenes Stöffchen zu machen ist und bleibt eine Herausforderung. Und was kommt dabei heraus? Dazu nächstens mehr.

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