Immer weiter buddeln

Ruhestand, das sagt man so. Letzte Station vor dem Friedhof. Aber in Wahrheit geht es jetzt erst richtig los.

Ich bin nicht gerade mit dem Grubber in der Hand zur Welt gekommen. Das Gärtnern lag nicht in der Familie. Im Garten meiner Eltern gab es, wenn ich mich recht erinnere, einen einzigen Versuch, Kartoffeln anzubauen. Nach einer Saison war damit Schluss. Der Rest gehörte dem Rasen.

Der nächste Garten existierte nur in der Fantasie. Wir lebten als Studenten in einer Wohngemeinschaft, in der es kleinbürgerlicher zuging, als man sich das vorstellt. Wir träumten davon, einen Schrebergarten zu pachten. Ob das gut ausgegangen wäre, weiß ich nicht. Stattdessen zogen wir um in ein Haus am Stadtrand. Dort war dann wirklich ein Garten. Keiner wusste, wie man damit umgeht. Die eine Mitbewohnerin ging her und schnitt mit kapriziöser Geste die obersten Rosenspitzen ab. Der andere quartierte sich im Erdgeschoss ein. Von da aus bewunderte er die blickdichte Buchenhecke. Wir übrigen sägten sie mit Stumpf und Stiel ab, als er mal nicht da war. »Ihr habt mich kastriert!«, wütete er bei der Rückkehr. Die Gemeinschaft ist bald darauf auseinandergegangen.

Ich zog in die Großstadt, nach Hamburg in den fünften Stock eines Altbaus. Von da aus hatte man einen prächtigen Blick auf die Einflugschneise von Fuhlsbüttel. Und eine Art Loggia. Die habe ich mühsam mit Topfpflanzen vom Isemarkt dekoriert. Bis eines Tages ein hamburgtypischer Orkan kam und das Ganze übers Dach hinwegfegte. Bei der Gelegenheit stellte sich heraus, dass die gesamte Wohnung von Hausschwamm befallen war und auf Anordnung der Bezirksregierung umgehend geräumt werden musste. So verschlug es mich nach Blankenese.

Das Treppenviertel von Blankenese liegt auf einer Endmoräne, die aus Sand und Geschiebemergel besteht. Die haben langfristig nur ein Ziel, nämlich in die Elbe zu rutschen. Mauern, die das verhindern sollen, fallen alle naselang um. Die Sache wird dadurch nicht besser, dass die Hamburger alles daran setzen, ihren Hafen nicht verschlicken zu lassen. Also wird die Elbe ausgebaggert und wegen der wachsenden Tonnage der Containerschiffe immer tiefer. Von Immobilien kann man da kaum sprechen.

Ich habe zehn Jahre lang am Elbhang gegärtnert. Hauptsächlich in großen Töpfen, denn der Boden gab wirklich nichts her. Wer sich über die großen Rhododendronbestände im Hirschpark wundert: Die gibt es nur, weil unermesslich reiche Kaufleute wie der Reeder Jean Cesar, fünfter von Goddefroy, Ende des 18. Jahrhunderts Abertonnen fruchtbarer Erde aus dem Alten Land ankarren ließen. In diesem Stil ist das heute nicht mehr möglich. Aber in Blankenese hat mich das Gärtner-Virus erstmals gepackt.

Worin äußert sich das? Ich würde sagen: durch Größenwahn. Und zwar bezüglich dessen, was möglich ist. Man kämpft gegen widrigste Umstände in der Illusion, alles irgendwie zu erreichen, was man irgendwo gehört, gelesen oder aufgeschnappt hat. Ein Feuchtbiotop auf knochentrockenem Terrain? Her damit. Warum nicht gleich ein Wasserfall? Oder eine Almwiese, ein Landschaftspark? Die Topfparade mit Blick auf die vorbeischippernde Handelsschifffahrt immerhin ist mir gar nicht so schlecht gelungen.

Dann hieß es Abschied nehmen auch von diesem Garten. Ich habe ihn vorübergehend gegen ein weiteres Dachgeschoss samt Blick über die Frankfurter Skyline getauscht. Aus dieser Zeit stammt eine Erkenntnis, die ich für grundsätzlich halte und an dieser Stelle weitergeben möchte: Je weiter der Blick reicht, desto ärger zieht es. Wind ist ein Faktor, den Pflanzen nur begrenzt mögen. Und Balkonpflanzen schon gar nicht. Das Grünzeug will Bodenkontakt. Der Gärtner auch.

So zogen wir schließlich in einen Frankfurter Vorort. Der Garten hinterm Haus ist ein schmales Handtuch, das zwanzig Meter weit steil in den Hang ragt. Seit mehr als zehn Jahren arbeite ich daran, es zugänglich zu machen. Hinzugekommen ist ein Pachtgarten, der nur wenige Minuten entfernt liegt. Beide halten einen auf Trab.

Ich halte es da etwas unbescheiden mit Hannah Arendt und ihrem Hauptwerk “Vom tätigen Leben”. Denn schon mit unserer Geburt beginnt unsere Fähigkeit, einen Anfang zu machen. Das endet ja nicht, wenn wir das gesetzliche Rentenalter erreichen. Spiro spero, sagt der Lateiner. Solange ich atme, ist alles noch möglich.

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Winterblues

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Endlich in Rente