Wenn ich ein Vöglein wär’ 🦆

Für Vogelfutter gibt der Deutsche fast so viel aus wie für die Böllerei zum Jahreswechsel. Und glaubt, er tue damit ein gutes Werk.

Soll man oder lieber nicht? Zweifel sind erlaubt

Wünsche äußern darf man ja. Als der Sänger Rio Reiser noch lebte, träumte er davon, dass Socken und Autos nicht mehr stinken. Wenn ich stattdessen König von Deutschland wäre, würde ich als erstes Streusalz und Meisenknödel verbieten. Kaum fallen zwei Zentimeter Schnee, wird eine Logistik ohnegleichen aufgefahren, um das Ganze in eine Pampe zu verwandeln, welche die Kleidung ruiniert, Pfoten verätzt, Vegetation vernichtet und obendrein noch die Kanalisation überfordert. Meisenknödel wiederum, gleich daneben im Sechserpack oder im handlichen Zehn-Liter-Eimer angeboten, sind so ziemlich das Dümmste, was man für den Artenreichtum tun kann. Wenn der Naturschutzbund dazu aufruft, die heimischen Wintervögel zu zählen, kommt die Kohlmeise jedesmal auf den ersten Platz. Im prototypischen Garten drängelten sich im Schnitt fast sieben Exemplare. Fragt noch jemand, warum?

Die Kohlmeise ist eigentlich ein Teilzieher. Das heißt, sie würde bei knappem Nahrungsangebot im Winter gen Südwesten fliegen. Tatsächlich überwintern die Vögel mittlerweile selbst nördlich des Polarkreises. Sie schlagen sich den Magen mit Knödelfett und Sonnenblumenkernen voll und haben anschließend Mühe, ein Revier zum Brüten zu finden. Natürliche Auslese findet kaum noch statt. Die Balzgesänge, die in manchen Jahren schon kurz nach Neujahr einsetzen, sind ja nicht nur Ausdruck reiner Lebensfreude, sondern der Versuch, Konkurrenten zu vertreiben, die infolge der ewigen Fütterei allzu eng auf die Pelle gerückt sind.

Dabei kommt es zu nachhaltigen Änderungen im Verhaltensrepertoire. Zoologen der Universität Basel berichteten vor einiger Zeit, dass Kohlmeisenmännchen, die von Menschen gefüttert werden, im Durchschnitt zwanzig Minuten später zu singen anfingen als Artgenossen, die sich ihr Futter selbst suchen mussten, und das auch dann, wenn die Fütterung längst wieder eingestellt worden war. »Wer Vögel füttert, kann morgens länger schlafen«, lautete die Schlussfolgerung der Schweizer. Für Schlafgestörte ist das vielleicht ein Trost, für die Meisen eher bedenklich. Was die Vogelfütterei sonst noch bewirkt, haben Ökologen der Universität Freiburg vor einigen Jahren am Beispiel der Mönchsgrasmücke beschrieben. Unter diesen Singvögeln haben sich zwei verschiedene Populationen herausgebildet. Die eine überwintert in Spanien, wo die Bevölkerung wenig davon hält, sie zu päppeln. Die andere verbringt den Winter auf den Britischen Inseln, wo traditionell fleißig Körner gestreut werden. Die britischen Grasmücken haben inzwischen schmalere, spitzere Schnäbel als ihre Artgenossen und kürzere, rundere Flügel, mit denen sie die längere Reise nach Spanien gar nicht mehr bewältigen können. Genetisch stehen die beiden Populationen kurz davor, sich in zwei getrennte Arten zu entwickeln.

Man muss das nicht schlimm finden. Aber es zeigt doch, wie sehr das Füttern in den Naturhaushalt eingreift. Das Getümmel und die kaum zu vermeidende Verkotung an den Futterstätten führen zwangsläufig zu Hygieneproblemen. 2009 kam es dadurch zu einem Massensterben von Grünfinken, die sich mit Trichomonaden angesteckt hatten. Im Jahr darauf häuften sich Meldungen von Erlenzeisigen, die an Salmonellose verendet waren. In Süddeutschland breitet sich unter Amseln seit einigen Jahren das Usutu-Virus aus, das eng mit dem auch für den Menschen nicht ungefährlichen West-Nil-Virus verwandt ist. Auch hier kann man vermuten, dass die Dichte der Amselbestände, die durch Fütterung künstlich hoch gehalten wird, eine der Ursachen ist.

Die vermeintliche Tierliebe, die sich in der Vogelfütterei äußert, ist in Wahrheit ein Ausdruck von Naturferne. Dass die Vögel draußen nicht gleich reihenweise tot vom Baum fallen, wenn die Temperatur unter den Gefrierpunkt sinkt, mag vielleicht wie ein Wunder erscheinen. Aber selbst der kleinste Vogel Europas, das kaum sieben Gramm schwere Wintergoldhähnchen, ist imstande, sein Futter unter einer Schneedecke zu finden und bei eisigem Frost zu überleben.

Wenn der Mensch meint, wild lebende Tiere füttern zu müssen, ist immer sein schlechtes Gewissen mit im Spiel. Umgeben von Asphalt und Beton, ahnt der Städter, dass es mit der Natur nicht mehr weit her sein kann. Also lockt er sie an, ähnlich wie der Jäger das Wild, das angeblich auch nicht ohne ihn über die Runden käme. Leider hat das meist unerwünschte Folgen. Was die Wildschweinplage im Forst, ist in vielen Städten das Elend der Tauben, von plündernden Ratten oder Waschbären ganz zu schweigen. Doch selbst zu den Hoch-Zeiten der Vogelgrippe konnten manche Besucher im Stadtpark nicht begreifen, warum man Enten und anderen Wasservögeln besser kein trockenes Brot hinwirft.

Geschätzte 20 Millionen Euro gibt der Bundesbürger jährlich für Vogelfutter aus. Was drin ist, will er gar nicht so genau wissen. Häufig genug war das in der Vergangenheit der Samen des Beifußblättrigen Traubenkrauts Ambrosia artemisiifolia. Die in Nordamerika beheimatete Pflanze hat sich seit den neunziger Jahren flächendeckend verbreitet. Ihr Pollen gilt als einer der stärksten Allergie-Auslöser überhaupt, was angesichts der Tatsache, dass ein einzelnes Exemplar bis zu einer Milliarde Pollenkörner freisetzen kann, ein gewisses Unbehagen bereitet. Die Zeitschrift Öko-Test fand in fast allen untersuchten Vogelfutterproben mehr oder minder hohe Konzentrationen von Ambrosia. Die Einfuhr ambrosiahaltiger Futtermittel ist mittlerweile nach EU-Recht verboten. Das ist allerdings nur ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass die ausgebrachten Samen bis zu vierzig Jahre lang keimfähig bleiben.

»Aber man muss doch auch an die Kinder denken«, heißt es, “die haben so viel Freude daran.” Noch mehr Freude an der Vogelfütterung, und das sogar bis ins hohe Alter, haben acht Millionen Hauskatzen. Die sorgen wenigstens für etwas Ausgleich in der einseitigen Bilanz der Vogelmast.

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