War früher mehr öko?

Das wird immer behauptet. Aber es stimmt nicht. Es gab schon schlechtere Zeiten für die Umwelt.

“Die Drahtziehmühle” (um 1510). Die fränkische Idylle trügt. Der Wald ist weitgehend gerodet, Weide und Grünland sind nahezu kahl gefressen.

Deutschland, kurz nach der Wende zum 16. Jahrhundert. Das Heilige Römische Reich hat den Ewigen Landfrieden verkündet. Es ist Sommer. Wir sehen eine Landschaft vor den Toren Nürnbergs. Der Himmel ist bedeckt. Eine Momentaufnahme, festgehalten als Aquarell. Fast so exakt wie ein Foto.

Der Standort des Künstlers lässt sich anhand historischer Aufzeichnungen bestimmen: Oben links ist die Stadtmauer mit dem Turm des Spittlertores dargestellt, rechts davon der Vorort Gostenhof mit dem Sitz des Amtmannes, davor die umzäunte Deutschherrenbleiche mit dem Himpfelshof. In der Bildmitte fällt der Blick über die Ortschaften St. Leonhard und Sündersbühl bis hin zur Schwabacher Hügelkette, die in bläulichen Tönen den Horizont abschließt. Im Vordergrund fließt still die Pegnitz, ein Holzsteg verbindet die Ufer.

Eine Idylle? Nicht weniger als das

Bildbeherrschend ist das Anwesen einer Mühle. Wir sehen ein Mühlrad an der Mauer lehnen und bei genauem Hinsehen den Müller, der ins Innere der Gebäude tritt. Dort wird mittels Wasserkraft Draht produziert, ein typisches Produkt der Gegend. Die vormoderne, in Fachwerkbauweise errichtete Fabrik gehört einem Nürnberger Patrizier. Über der gesamten Szenerie liegt eine friedvolle Stimmung. "Altfränkisch" wäre der passende Ausdruck. So stellt man sich eine deutsche Idylle vor.

Dabei ist sie nichts weniger als das. Albrecht Dürer hat in diesem ersten, rein der realen Landschaft gewidmeten Bild der Kunstgeschichte akkurat festgehalten, wie es im Spätmittelalter mit der Umwelt aussah. Von den dichten Wäldern, die Germanien einst bedeckten, war nicht mehr viel geblieben. Die massiven Rodungen, die im 11. Jahrhundert eingesetzt hatten, hatten nur noch lichte Baumbestände hinterlassen. Wo einzelne Waldinseln stehen geblieben waren, wie im Hintergrund des Bildes angedeutet, wird es sich bloß noch um einen lockeren Buchen-Eichen-Mischwald mit wenig Unterholz gehandelt haben.

Jan van Goyen: “Landschaft mit zwei Eichen” (1641). Letzte Überbleibsel eines intensiv genutzten Waldes.

Die gute alte Zeit, in der man einfach die Schweine zur Eichelmast in den Wald trieb und davon leben konnte, war längst vorbei. Das System der Dreifelderwirtschaft hatte sich durchgesetzt. Dabei wurde das Land in drei Teile geteilt. Einer davon lag ein Jahr lang brach und wurde als Viehweide genutzt. Die beiden übrigen wurden abwechselnd mit Sommer- und Wintergetreide bepflanzt. Den höchsten Preis erzielte Weizen, aus dem das Brot der Wohlhabenden gebacken wurde. Roggen, Dinkel und Gerste stellten geringere Ansprüche an Boden und Klima, sie sollten rasch wachsenden Bevölkerung ernähren. Der Anbau von Hafer wiederum erleichterte die Haltung von Pferden, die den schwerfälligen Ochsen als Zugtier ablösten.

Die einzelnen Flurteile sind auf Dürers Aquarellzeichnung durch Hecken gegliedert. Sie boten Vögeln und anderem Kleingetier wie dem Hasen Lebensraum und lieferten Brennholz und Flechtmaterial. Hier, vor den Toren Nürnbergs, waren die Hecken bereits arg geplündert. Holzzäune mussten die Lücken schließen. Damit sollten die verschiedenen Grundrechte abgegrenzt werden.

Das Schicksal der Allmende

Rechts oben ist beispielsweise ein Obstgarten zu erkennen; er gehörte der Nürnberger Patrizierfamilie Geuder, die die Herrschaft über einige angrenzende Ländereien erworben hatte. Links davon liegt die Gemeindeweide, auf die jeder sein Vieh treiben durfte. Die bräunliche Färbung deutet auf Übernutzung hin, die Grasnarbe ist durchgetreten und von Erosion bedroht - das Schicksal vieler Allmenden.

Die übrigen Flurstücke werden wohl in Form von "Zelgen" bewirtschaftet worden sein, als Zusammenschluss aus Einzelparzellen, die durch Realteilung so klein gerieten, dass sich ihre Bewirtschaftung nicht mehr rentierte. Seit dem Spätmittelalter konnte in solchen Fällen ein Flurzwang verhängt werden, der gemeinsame Saat-, Bearbeitungs- und Erntezeiten festlegte. Dabei galt es, die unterschiedlichsten Pachtverhältnisse zu beachten. Leibeigene waren außerdem verpflichtet, Abgaben zu leisten; noch im Todesfall konnte es sich dabei um das beste Stück Vieh aus dem Stall handeln.

Zog der Bauer mit seiner Ware in die nächste Stadt, sah er dort, wie das bessere Leben aussah. Die Prunksucht kannte bald kaum noch Grenzen. Mancher Magistrat sah sich gezwungen, spezielle Kleiderordnungen zu erlassen. Stadtfrauen durften demnach nur noch Schmuck und Gewänder im Gegenwert von bis zu einhundert Tonnen Roggen besitzen, was immer noch ein gewaltiges Vermögen war.

Deutschland wurde praktisch abgeholzt

Zur Zeit Albrecht Dürers lebten schätzungsweise 15 Millionen Menschen im Deutschen Reich, ein Fünftel davon in Städten. Mehr konnte das Land nicht ernähren. Der Bau immer neuer Häuser und deren Heizung verschlangen enorme Mengen Holz. Auf dem Mühlenhof an der Pegnitz liegen ein paar Balken herum, doch nirgends ist der Aufwuchs neuer Gehölze zu sehen, weder auf dem Gelände noch am Ufer oder auf der angrenzenden Weide. Eine nachhaltige Forstwirtschaft wird sich erst im 18. Jahrhundert entwickeln.

Eines der wenigen Dokumente, die ein fränkisches Bauerndorf jener Zeit zeigen, ist Dürers nach dem Zweiten Weltkrieg verschollene Aquarellzeichnung "Ansicht von Kalchreuth". Man erkennt noch den relativ dichten Baumbestand, der von der Rodung verschont geblieben ist. Es handelt sich um ein typisches Hufedorf: Links und rechts der Dorfstraße ist jedem Hof eine schmale, bis zu zweieinhalb Kilometer lange Fläche, die "Hufe", zugeteilt. Es blieb dem Bauern überlassen, ob er dort Wald- und Ackerwirtschaft trieb oder sich entschloss, Gemüse und Obst anzubauen. Auf diese Weise konnte sich immerhin noch eine kleinteilige, ökologisch halbwegs intakte Agrarlandschaft halten.

“Ansicht von Kalchreuth” (um 1510). Ein typisches Dorf in Franken.

Doch die Gefahr einer Hungersnot stand zu Albrecht Dürers Zeiten bereits vor der Tür. Schon einmal hatte Deutschland eine große Krise durchlebt. Wenig später schlug die Pest zu. Die Seuche wütete vor allem in den Städten. Die schlechten Hygienezustände sorgten für den Vormarsch der Wanderratte. Stadt- und Haustauben bildeten ein Reservoir für Bettwanzen, ganze Quartiere litten darunter. Auch Flöhe und Läuse waren kaum zu vertreiben. Hinzu kamen neue Infektionskrankheiten wie die Syphilis. Insgesamt gilt das späte Mittelalter unter Medizinhistorikern als die ungesundeste Epoche der mitteleuropäischen Geschichte.

Dann kam die kleine Eiszeit

Hinzu kam das ungünstige Klima, das sich zusehends verschlechterte. Anhand von zeitgenössischen Berichten, der Analyse von Wachstumsringen, Pollen und Eisbohrkernen kann man rekonstruieren, dass Europa damals von einer kleinen Eiszeit heimgesucht wurde. Die Durchschnittstemperatur sank um 1,5 Grad, die Höhengrenze der fruchtbaren Ackerflächen gingen um fast zweihundert Meter zurück.

Nasskalte Sommer waren die Regel. Davon war die gesamte Agrarwirtschaft betroffen. Teilweise verfaulte das Getreide auf den Halmen. Die Winter wurden immer härter. Der holländische Maler Pieter Bruegel der Altere hat das auf seinem Ölgemälde “Heimkehr der Jäger” eindrucksvoll festgehalten.

Die kleine Eiszeit sollte bis zur Französischen Revolution andauern. Was ihn ausgelöst hat, weiß man nicht. Manche Klimatologen haben dafür das sogenannte Maunder-Minimum verantwortlich gemacht, eine Periode verringerter Sonnenfleckenaktivität zwischen 1645 und 1715. Inzwischen glaubt man eher, dass Vulkanausbrüche die Ursache gewesen sein könnten. Heftige Eruptionen in Äquatornähe hätten gewaltige Mengen an schwefelhaltigem Staub und Asche bis hoch in die Atmosphäre geschleudert, wo sie sich rund um den Erdball verteilten. Durch die Abkühlung hätten sich anschließend an den Polen Gletscher und Meereis ausgebreitet, das Eis hätte die Sonnenstrahlung stärker reflektiert und gleichzeitig warme Strömungen wie den Golfstrom abgeschwächt, so dass weniger Wärme in hohe Breiten gelangte, was wiederum zu erneuter Abkühlung geführt hätte.

Der Kälteeinbruch hatte weitreichende Folgen. Dürer erlebte die tiefer werdende Kluft zwischen Stadt und Land am Beispiel Nürnbergs und seiner Umgebung. Die Handelsmetropole stand noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts in voller Blüte. Technischer Erfindungsgeist und schöne Künste mehrten ihren Ruhm, während die Bauern bereits unter Zwangsabgaben und Teuerung litten. Immer häufiger verlangten die wechselnden Grundherren Geld statt Naturalien. Viele Pächter mussten sich daraufhin verschulden, gaben ihre Höfe auf und zogen als Tagelöhner in die Stadt.

Die gute alte Zeit hat es nie gegeben

Albrecht Dürers fränkische Aquarelle sind Momentaufnahmen einer Landschaft im Übergang vom Spätmittelalter in die frühe Neuzeit. Über das, was er festgehalten hat, wird hundert Jahre später der Dreißigjährige Krieg hinweggehen. Marodierende Truppen werden ganze Ernten vernichten, Dörfer plündern und niederbrennen. Neue Pestzüge werden viele Ortschaften aussterben und öd werden lassen. Der Wald wird sich einen Teil der Landschaft zurückerobern, um erneut für Bergbau und Industrialisierung geopfert zu werden.

Eine "gute alte Zeit" hat es nie gegeben. So viel kann man von Dürer lernen: Nichts bleibt, was war.

Literatur: Henry Makowski, Bernhard Buderath: "Die Natur dem Menschen untertan - Ökologie im Spiegel der Landschaftsmalerei", Kindler Verlag, München 1983

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