Willkommen, Runzelbruder

Moos ist nicht gleich Moos. Wer es loswerden will, sollte es beim Namen kennen. Und wer es ansiedeln will, erst recht.

Man kann es hassen. Doch näher betrachtet hat Moos seinen eigenen Charme.

Anfang März wird es kritisch im Garten. Beim Nachbarn ganz besonders. „Oh je, der schöne Rasen“, seufzt er, „alles voller Moos.“ Und dann wird aufgefahren, was der Schuppen hergibt. Der Vertikutierer kommt endlich wieder zum Einsatz, Eisensulfat, Kalk und Dünger, gegebenenfalls wird Sand eingeharkt, neu gesät – alles, Ratgeber so empfehlen. Moos ist der Todfeind des ordentlichen Gärtners. Wenn es sich obendrein in Pflasterfugen und Mauerritzen breit macht, helfen nur noch Kärcher und Gasbrenner.

Ich habe das auch jahrelang so gehalten. Immer wieder den alten Steintrog und die Mauer gescheuert. Bis mir eines Tages auffiel, dass Moospolster ihren eigenen ästhetischen Reiz haben. Vor allem dann, wenn man sie mit der Lupe betrachtet. Aber auch so schaffen sie eine besondere, meditative, fast verwunschene Atmosphäre im Garten. Moose bilden sich überall, wo es wenig Licht und viel Feuchtigkeit gibt, von ganz allein. Als relativ einfach organisierte Pflanzengruppe besitzen sie keine echten Wurzeln, nur dünne Zellfäden, sogenannte Rhizoide, mit denen sie sich an Steinen, Holz oder Baumrinde festkrallen. Wasser nehmen sie aus der Luft auf und speichern es in erstaunlichen Mengen. Das kann bis zum zwanzigfachen ihres Trockengewichtes gehen. Sie können andererseits auch Trockenperioden und Frost überdauern. Man hat schon Moosfäden aufgetaut und erneut zum Sprießen gebracht, die 1500 Jahre lang unter arktischem Eis begraben waren (https://tinyurl.com/hy93qwv).

Moose waren wahrscheinlich die ersten Pflanzen, die vor mehr als vierhundert Millionen Jahren den Sprung aus dem Wasser ans Land geschafft haben. Bei der Fortpflanzung sind sie immer noch auf Wasser angewiesen, ihre männlichen Geschlechtszellen legen die Strecke zu den weiblichen Archegonien schwimmend zurück. Dafür genügt ihnen schon ein Tautropfen. Der Generationswechsel bei Moosen ist ein beliebtes Prüfungsthema für angehende Botaniker und allein schon ein Grund, sich näher mit diesen bescheidenen Vertretern des Pflanzenreichs zu beschäftigen.

Das wird einem allerdings nicht leicht gemacht. Die allermeisten Pflanzenbestimmungsbücher fangen erst bei den Farnen an und lassen die gefäßlosen Moose außen vor. Die Bryologie, also die Wissenschaft von den Moosen, führt an den Universitäten, ähnlich wie ihr Untersuchungsgegenstand selbst, ein Schattendasein. Nur wenige Botanische Gärten kultivieren Moose unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten, beispielsweise der in Berlin-Dahlem (www.bgbm.org/de/node/189). Als Privatgärtner muss man lange suchen, bis man auf Tipps stößt, wie sich Moos eventuell ansiedeln ließe, statt es mit Stumpf und Stiel zu vertreiben. Das einzige deutschsprachige Buch zu diesem Thema hat der 2014 verstorbene Botaniker Jan-Peter Frahm verfasst, der an der Universität Bonn gelehrt hat; es ist inzwischen vergriffen. Die Michigan Technological University hat immerhin ein Lehrbuch zur Ökologie der Bryphyten ins Netz gestellt, das einiges über die Verwendungsmöglichkeit von Moospflanzen aufführt (www.bryoecol.mtu.edu). Wer einfach ins Gartencenter geht und ein paar Mosspflanzen kaufen möchte, ist vollends aufgeschmissen: Dort bekommt er zwar jede Menge Torf. Auch Moos. Aber ein totes.

Hier hat sich noch ein Farn dazugesellt

Der Nachbar, der kein Moos im Garten duldet, ist nicht allein mit dieser Aversion. Das beweisen die langen Regalreihen, die im Gartencenter für „Moosvernichter“ reserviert sind. Noch länger sind die Regale, auf denen sich Säcke mit Torferde stapeln. Die wiederum enthalten nichts anderes als abgestorbenes Moos der Gattung Sphagnum. Der Nachbar liebt das braune Zeug sehr und kippt es auf seine Beete, damit es ordentlich aussieht.

Umweltschützer sehen das gar nicht gern. Torf wird aus einem Lebensraum gewonnen, der bereits arg geplündert ist. Aber die Hersteller von Pflanzsubstraten wollen nicht darauf verzichten. Weil Torfmoose auf nährstoffarmen Standorten wachsen, lässt sich aus ihnen eine Art Null-Erde gewinnen, die je nach Verwendungszweck gezielt aufgedüngt werden kann. Allein in Deutschland werden jährlich mehr als acht Millionen Kubikmeter Torf gestochen. Ein Viertel davon verbrauchen die Hobbygärtner, der Rest geht in den Profibereich. Die Vorräte gehen jedoch zur Neige, die Landesregierung in Niedersachsen hat schon angekündigt, den Abbau aus Gründen des Klimaschutzes ganz zu stoppen. In absehbarer Zeit wird die Torfwirtschaft wohl nach Osteuropa ausweichen müssen, wo noch größere Vorkommen lagern.

Gerechterweise muss man sagen, dass die Torfindustrie Anstrengungen unternimmt, erschöpfte Moore zu regenerieren. Die Abbauflächen, die einst von der Landwirtschaft mühsam trockengelegt wurden, werden zum Teil wiedervernässt. Ob das nennenswert dazu beiträgt, die CO2-Bilanz des Torfabbaus auszugleichen, muss sich erst noch herausstellen. Dies sei wissenschaftliches Neuland, hieß es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Grünen, und derzeit noch „mit methodischen Schwierigkeiten und einer dünnen Datenlage verbunden“.

Es ist in der Tat sehr viel schwieriger, Moos anzusiedeln, als es zu vernichten. Meister in dieser Disziplin sind die Japaner, die aus Moospolstern ganze Miniatur-Landschaften formen. Sie machen dabei aus der Not eine Tugend, denn für mehr als einen Bonsai-Garten findet sich häufig kein Platz. Auch das feuchte Klima spielt eine Rolle: Der berühmte Moosgarten auf dem Gelände des Saihoji-Tempels in Kyoto war ursprünglich eine reine Angelegenheit aus Sand und Stein und ist erst vermoost, nachdem er längere Zeit vernachlässigt wurde.

Durch mangelnde Pflege allein wird man in unseren Breiten keinen Moosgarten hinbekommen. Gartenerde enthält in der Regel viel zu viele Nährstoffe und jede Menge Samen von Blütenpflanzen, die das Moos bald verdrängen würden. Weil Moos keine Wurzeln hat, braucht es eigentlich überhaupt kein Substrat. Der Bryologe Jan-Peter Frahm empfahl in seinem Buch „Mit Moosen begrünen – eine Anleitung zur Kultur“, eine Plastikfolie zu verlegen und darauf eine mindestens zwanzig Zentimeter hohe Schicht aus Sand, Torf und Lavagrus auszubringen, die imstande ist, eine gewisse Feuchtigkeit zu halten. Zu nass darf es aber auch nicht sein, weil sich sonst Pilzbefall einstellt. Diese Fläche muss man dann dauerhaft von Laub und keimenden Gräsern freihalten, eventuell noch ein Netz darüber spannen, weil auch manche Vögel große Moosliebhaber sind und mit dem weichen Material ihre Nester polstern.

Wenn man Moos als Feind betrachtet, den es auszurotten gilt, sollte man es studieren, bevor man es bekämpft. Es wäre beispielsweise gut zu wissen, welches Moos sich im Rasen breitmacht, ehe Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird es sich um Rhytidiadelphus squarrosus handeln, den Sparrigen Runzelbruder. Warum er „sparrig“ genannt wird, erschließt sich, wenn man ihn genauer betrachtet – die einzelnen, von oval nach spitz zulaufenden Blättchen stehen fast waagerecht vom Stämmchen ab.

Der Runzelbruder kommt vor allem auf kurz gehaltenen Weiden, Golfplätzen und Zierrasen vor. Er ist ein zäher Bursche und treuer Begleiter des Gärtners, es lässt sich kaum noch sagen, was sein natürlicher Standort wäre. Ganz untypisch für ein Moos, akzeptiert er sowohl nährstoffarme wie gut gedüngte Böden und macht sich auch wenig daraus, ob sie sauer oder basisch sind. Durch Gaben von Kalk, wie meist empfohlen, wird man ihn also kaum vertreiben. Ich bilde mir ein, dass er kümmert, wenn ich Teile meiner Wiese in die Höhe wachsen lasse und nur noch zweimal im Jahr mähe. Vermehren lässt er sich dagegen mühelos, indem man ganze Büschel aufnimmt, zerrupft und irgendwo hinstreut, wo es nicht allzu trocken ist. Durch Sporen pflanzt er sich angeblich nur selten fort.

Im Gegensatz zum Runzelbruder fruchtet das Krückenförmige Kurzbüchsenmoos (Brachythecium rutabulum), das man ebenfalls im Rasen findet, gern und häufig. Auf diese Weise hat es sich praktisch über den gesamten Erdball verbreitet. Wenn man den Rasen düngt, um es loszuwerden, wie immer geraten wird, zeigt sich das nährstoffliebende Kurzbüchsenmoos ausgesprochen dankbar und wächst nur umso dichter.

Runzelbruder und Büchsenmoos kann man morphologisch leicht auseinanderhalten . Es handelt sich bei ihnen, ähnlich wie beim Gänseblümchen, um sogenannte “synanthrope Arten”, die sich an den menschlichen Siedlungsbereich angepasst haben und aus diesem kaum noch verbannt werden können. Anders verhält sich das mit dem Goldenen Frauenhaarmoos (Polytrichum commune), das in japanischen Moosgärten so beeindruckende Bestände bildet. Hierzulande gedeiht es in sumpfigen Wäldern und kann bis zu einem halben Meter hoch werden. Die Alchemisten haben mit dem Frauenhaarmoos allerhand Zauber getrieben, auch soll man daraus im Mittelalter Schiffstaue geflochten haben. Es gibt einige kleinere Polytrichum-Arten wie P. perigoniale, P. formosum oder P. piliferum, die sich nach Ansicht des Botanikers Jan-Peter Frahm besser für den Garten eignen.

Im Internet findet man gelegentlich Rezepte, in denen zu lesen ist, man solle den Untergrund, auf dem man Moose ansiedeln will, mit aufgelöstem Pferdedung, Bier, Joghurt oder Buttermilch bestreichen. Nach Ansicht des Fachmanns Frahm ist das Quatsch. Auch die Anzucht aus Sporen empfiehlt er nur in Ausnahmefällen und rät stattdessen zur vegetativer Vermehrung. Gießen sollte man mit Bedacht und nach Möglichkeit mit Regenwasser, weil die meisten Moose eben doch einen niedrigen pH-Wert schätzen.

Was sagt der Nachbar dazu? Mir egal. Ich möchte Moos nicht mehr missen.

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