Leb wohl, perfekter Rasen🧤

Ein grüner Teppich ist der Traum vieler Gartenfreunde. Wenn sie nur wüssten, was das bedeutet.

Wie im Bilderbuch. Aber auch nur dort.

Wie bekommt man einen perfekten Rasen hin? Gern zitiert wird die englische Weisheit: Zweimal die Woche mähen - und das zweihundert Jahre lang. Aber das ist Humbug. In Wahrheit ist es ein ewiger Kampf. Und die Chance, das man ihn gewinnt, nicht besonders groß.

Ein einziges mal habe ich ihn geführt. Auf zehn Quadratmetern wollte Er sollte mindestens Sportplatzqualität haben. Das will was heißen. Allein für das Planum habe ich vier Karren Sand angeschleppt. Mehr als eine halbe Tonne. Und noch immer taten sich Niveauunterschiede auf. Frech keimte außerdem das Unkraut.

Einmal nur im Leben

Ein Mann, so sagt das Sprichwort, sollte in seinem Leben ein Haus gebaut, einen Sohn gezeugt und einen Baum gepflanzt haben. Ich finde, er sollte einmal im Leben auch zu einem Unkrautvernichtungsmittel gegriffen haben.

Das war freilich nicht so einfach. Im Gartencenter steht derlei mittlerweile unter Verschluss, man muss eine Fachkraft herbeibitten. Die Fachkraft empfahl mir ein „biologisches“ Mittel. Darin enthalten war Pelargonsäure, eine ranzig riechende Substanz, die unter anderem in Storchschnabelgewächsen vorkommt. Pelargonsäure muss in relativ großen Mengen ausgebracht werden und wirkt als Kontaktherbizid. Das heißt: Hartnäckige Wurzelunkräuter bekommt man damit nicht weg.

Ich griff stattdessen entschlossen zu einem anderen Mittel, dem berüchtigten „Roundup“ von Monsanto. „Damit erwischen sie aber alles“, sagte die Fachkraft vorwurfsvoll. „Genau“, sagte ich.

 

Ready Roundup

enthält den Wirkstoff Glyphosat. Er dringt bis in die Wurzeln vor und blockiert einen Stoffwechselweg, der nur bei Pflanzen vorkommt.

 

Im Boden wird Glyphosat mehr oder weniger rasch von Mikroorganismen abgebaut. Nach Angaben des Herstellers rafft das Zeug so gut wie alles, was grün ist, dahin (mit Ausnahme von Giersch, Weißklee und einigen anderen Spezialisten). Ideal sei es zur Vorbereitung einer Neueinsaat.

Was ja exakt das war, was ich vorhatte.

Unter allerhand Vorsichtsmaßnahmen ging ich an einem windstillen Tag daran, meine zehn Quadratmeter zu besprühen. Erst wirkten Schöllkraut, Hahnenfuß und Co. nur beleidigt, dann fingen sie tatsächlich an zu kränkeln. Ich hatte mir das irgendwie radikaler vorgestellt. Vielleicht hätte ich Essig nehmen sollen. Der Nachbar schwört drauf: Da sei wenigstens keine Chemie drin, sagt er.

Wie auf dem Sportplatz

Der Begriff “Sportplatzqualität” erinnert mich an meine Jugendzeit. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gab es natürlich einen Fußballverein. Gespielt wurde anfangs auf einem Hartplatz, der mit gemahlener Hochofenschlacke von der benachbarten Bleihütte gedeckt war. Die Männer waren robust im Nehmen. Aber über die Kreisklasse hinaus haben sie es nie geschafft. Auch dann nicht, als endlich Geld genug für eine Rasenanlage da war, die sie zielsicher in ein Naturschutzgebiet hineinplanierten. Auf dem sie in einer Saison mehr als hundert Gegentore kassierten. Das muss man auch erst mal schaffen.

Warum wird Fußball überhaupt auf Rasen gespielt? Wahrscheinlich, weil er in seiner heutigen Form in England erfunden wurde. Dort sind die Sommer feucht und die Winter mild, beste Voraussetzungen also. In klimatisch weniger begünstigten Weltgegenden wie Nischni Nowgorod oder in Wüstenstaaten wie Katar muss man schon erheblich größeren Aufwand treiben.

Auch in Deutschland, wo die Fußballtradition notorisch hochgehalten und das Wort „Kunstrasen“ nur mit Abscheu vernommen wird, ist das so eine Sache.

So oder so ein Kunststück

Fußballplätze müssen viel aushalten, weil sie das ganze Jahr über mit Füßen getreten werden. Für diesen Zweck eignen sich unter hiesigen Bedingungen vor allem zwei Arten, nämlich das Deutsche Weidelgras (Lolium perenne), das rasch keimt, aber keine besonders dichten Bestände bildet. Die wiederum steuert die Wiesenrispe Poa pratensis bei.

Beide gibt es in zahlreichen Zuchtformen. Wer sich einen detaillierten Überblick verschaffen will, wird beim Bundessortenamt fündig. Die Behörde war federführend an der Sortenauswahl für die WM 2006 beteiligt; das deutsche Sommermärchen fand dann auf Rollrasen statt, der zum überwiegenden Teil ausgerechnet beim Fußballkonkurrenten Holland herangewachsen war.

Erstklassig nur mit Heizung

Die Zeiten, in denen Fußballer den Rasen des Gegners noch als „Acker“ schmähen konnten, gehören im Profibereich der Vergangenheit an. Verwandelte sich das Grün früher im Winter regelmäßig in gefrorenen Matsch, so ist heute in der ersten und zweiten Bundesliga eine Rasenheizung vorgeschrieben. Das geht ins Geld, genauso wie der Austausch der gesamten Grünfläche, der trotz aller Bemühungen immer wieder fällig wird. Denn modern Stadien sind inzwischen mit Tribünen ausgestattet, die so steil am Spielfeld in die Höhe ragen, dass der Rasen kaum mehr Sonnenlicht bekommt.

Auf Schalke hat man deshalb eigens eine elftausend Tonnen schwere Pflanzwanne installiert, die auf teflonbeschichteten Stahlschienen ins Freie geschoben werden kann.

 

Das Beispiel hat allerdings keine Schule gemacht. Die meisten Vereine setzen stattdessen auf künstliche Bestrahlung durch leistungsstarke Lichtanlagen, die je nach Bedarf von einer Ecke des Spielfeldes in die andere gesteuert werden.

Wenn wir hier schon nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.
— Rolf Rüssmann vor einem Auswärtsspiel in Dortmund

Endstation Golfrasen

Als Nonplusultra gilt unter Rasenfreunden allerdings nicht der Fußball-, sondern der Golfrasen. Das ist noch mal eine Nummer für sich. Bei der Neuanlage von Golfplätzen wird erst einmal die alte Grasnarbe abgeschält, der Oberboden abgetragen und das Gelände neu modelliert. Ideal für den Untergrund wären fünf Zentimeter Sand auf einer fußbreiten Schicht fruchtbarer Muttererde, die wiederum auf einer wasserdurchlässigen Schicht Kies oder ähnlichem ruht.

So ein Bodengefüge findet sich von Natur aus nirgends auf diesem Planeten.

Damit ist es noch nicht getan. Zur besseren Drainage verlegt man Rohre. Darauf kommt wieder Mutterboden und zum Abschluss eine Rasentragschicht, die im wesentlichen aus Sand und organischem Material besteht; meist wird Torf genommen. In Deutschland ist das durch die DIN 18035-4 beziehungsweise durch die Richtlinie für den Bau von Golfplätzen der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau geregelt. Die United States Golf Association hat ähnliche Vorgaben gemacht, bis hin zur empfohlenen Korngröße der einzelnen Bodenfraktionen.

Wenn der Rasen dann endlich angewachsen ist, muss er in regelmäßigen Abständen gemäht, gedüngt, gewässert, vertikutiert und aerifiziert werden. Das Vertikutieren, bei dem der Untergrund mit scharfen Messern angeritzt wird, soll den sogenannten Rasenfilz beseitigen, der sich aus abgestorbenem Pflanzenmaterial und Moos bildet. Beim Aerifizieren geht es darum, Löcher aus dem Boden zu stanzen, um mehr Luft hineinzubringen. Immer mal wieder sollte ein sogenanntes Topdressing aufgebracht werden, das ähnlich zusammengestellt wird wie die Tragschicht. Schließlich gilt es noch, die vielen Feinde des makellosen Rasens fernzuhalten.

Wo selbst der Regenwurm stört

Dazu zählt sogar der Regenwurm. Die Häufchen, die er setzt, nimmt ein Golfer vielleicht noch auf dem weniger gepflegten Fairway hin. Auf dem getrimmten Grün, wo es ums Einlochen geht, werden sie keinesfalls geduldet. Das ist aus spielerischer Sicht zwar verständlich, aber nicht im Sinne der Rasengesundheit. Denn gerade der Regenwurm sorgt von Natur aus dafür, dass sich kein Filz bildet und der Boden schön locker bleibt.

Weil Regenwürmer anerkannte Nützlinge sind, darf man sie eigentlich nicht bekämpfen. Höchstens vergraulen. Senföl, Allicin oder Capsaicin sollen hier hilfreich sein.

Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem. Wie um alles in der Welt bleibt ein Rasen unkrautfrei?

Mein kleines Vorzeigeprojekt habe ich, wie gesagt, mit Glyphosat begonnen. Ähnlich hält es der Landwirt, wenn er seinen Acker für die kommende Saat vorbereitet. Nach ein paar Wochen Wartezeit, in denen das Herbizid seine Wirkung verliert, habe ich auf dem nunmehr nackten Boden zehn Quadratmeter teure Rollware verlegt. Es war ein prächtiger Anblick.

Für genau eine Saison.

Dann kam das Unkraut

Am raschesten schlich sich der Weißklee ein. Ein unverschämtes Kraut, das seinen Bedarf an Stickstoff selber deckt, indem es ihn mit Hilfe von Knöllchenbakterien aus der Luft fixiert. Erst dachte ich, möglichst tiefes Mähen würde helfen. Das hat nur den Gräsern geschadet, der Klee wuchs ihnen munter über den Kopf. Dann habe ich das Gegenteil versucht, und der Klee hat die Gelegenheit sofort ergriffen, um zu blühen und kräftig Samen zu produzieren.

Ich konsultierte alle möglichen Ratgeber und bekam den Tipp, dem Klee eine Extraportion Stickstoff zu verpassen. Hornspäne eignen sich dafür, sie riechen nur etwas eigenartig. Anfang März, kaum hatte alles zu wachsen begonnen, verteilte ich sie großzügig. Hornspäne zersetzen sich langsam, aber ein Gärtner muss sich sowieso in Geduld üben. Ich ließ es auch nicht dabei und legte alle zwei Monate nach. Mit einem Dünger, der ordentlich Phosphat und Magnesium brachte, noch mal mit Hornspänen, mit gesiebtem Kompost und zum Schluss mit einer sogenannten Rasenkur, die vor allem Eisen und andere Spurenelemente liefern sollte.

Das Resultat konnte ich dann im nächsten Jahr bewundern. Der Bestand an Klee hatte wenigstens nicht zugenommen, der an Gundermann umso mehr.

Da blieb nur noch der Griff zum Unkrautvernichter.

Die chemische Keule

Ein bewährtes Mittel in solchen Fällen ist Dicamba, 3,6-Dichlor-2-Methoxybenzoesäure. Es handelt sich dabei um einen Wachstumsbeschleuniger, zweikeimblättrige Pflanzen lässt er derart in die Höhe schießen, dass sie daran zugrunde gehen; die einkeimblättrigen Gräser überleben das.

Dicamba ist in den meisten Unkrautvernichtern für Rasenflächen enthalten, häufig ergänzt durch 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure, kurz 2,4-D, das auf ähnliche Weise wirkt. Die Amerikaner haben das Zeug während des Vietnamkriegs als Entlaubungsmittel eingesetzt.

Am Ende sagte der Pazifist in mir: Lass die Finger davon!

Wohl dem Menschen, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann.
— Friedrich Schiller: "Über das Erhabene"

Keep it green

Wer vorhat, sich ernsthaft mit dem Thema Rasen zu beschäftigen, kann sich in Deutschland an der Hochschule Osnabrück einschreiben. Dort gibt es einen Masterstudiengang und eine Stiftungsprofessur für „Angewandte Rasenwissenschaft“.

Als Mekka in Sachen Rasenforschung gelten freilich die Vereinigten Staaten. „Turf science“ ist dort drüben eine hoch professionelle Angelegenheit. Ein halbes Dutzend Universitäten bieten eigene Studiengänge an, an der Pennsylvania State University kann man schon seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts seinen Bachelor in Rasenkunde machen. Fast alle, die sich dafür entscheiden, finden später auch einen Job, meist als Greenkeeper..

Amerikaner haben ein obsessives Verhältnis zum Rasen, das sich nicht nur im Vorgarten manifestiert. Jeder zehnte von ihnen spielt außerdem Golf und erwartet, einem perfekt manikürten Platz vorzufinden, egal, ob er nun in Florida, New Mexico oder North Dakota seine Runde dreht. Rasen wächst in den Vereinigten Staaten auf einer Fläche von mindestens zehn Millionen Hektar, das ist doppelt so viel, wie für den Baumwollanbau benötigt wird.

Die amerikanische Rasenindustrie macht jährlich schätzungsweise vierzig Milliarden Umsatz, was in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Kambodscha entspricht. Ein Drittel des Nutzwassers an der Ostküste und zwei Drittel an der Westküste gehen für Rasenbewässerung drauf. Weil in Bundesstaaten wie Kalifornien immer häufiger lange Dürreperioden herrschen und der Wasserverbrauch streng reglementiert werden muss, ist ein neues Berufsbild entstanden. „Lawnpainters“ bieten an, die braun verdorrten Flächen appetitlich grün zu sprayen.

In Amerika gilt Rasen als Ausweis des rechtschaffenen Bürgers und als Symbol für Wohlstand. Er ist tief im nationalen Bewusstsein verwurzelt; die erste Frage, die der Schauspieler Richard Widmark seinen Ärzten stellte, nachdem er beim Rasenstutzen fast ein Bein verloren hätte, lautete angeblich: „Werde ich jemals wieder mähen können?“

Der Sachbuchautor Michael Pollan hat dazu angemerkt, dass ein gepflegter Rasen immer aus wenigen Gräsern besteht, die weder sterben noch blühen oder gar Samen ansetzen dürfen: „Rasen ist von Sex und Tod gereinigte Natur. Kein Wunder, dass die Amerikaner ihn so lieben.“

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Immer das Gschiss mit den Tomaten 🍅