Immer das Gschiss mit den Tomaten 🍅

Unter Hobbygärtnern gibt es kaum ein wichtigeres Thema. Mit selbst gezogenen Früchten wird um die Wette geprahlt. Oder es wird gejammert. Warum nur?

Unschuldig genug schauen sie aus. Aber bloß auf den ersten Blick.

Die Legende von den Tomaten geht ungefähr so: Früher, als es noch nicht diese überzüchteten Sorten gab, erntete Opa Kurt kiloweise die schönsten Exemplare. Jahr für Jahr ein Gedicht. Dann kamen die Holländer mit ihren Gewächshäusern und haben der Tomate den Geschmack ausgetrieben. Da hilft nur noch Eines: Selber anbauen. Nie mehr Treibhausware!

Wenn es eines gibt, was den Gärtner Demut lehrt, dann der Versuch, Tomaten unter freiem Himmel zu ziehen. Profis lassen gleich die Finger davon: Was auf dem Markt unter “Freilandtomaten” firmiert, ist selbst im Hochsommer unter Glas oder Folie gewachsen. Das liegt nicht daran, dass so viel, sondern eher, dass zu wenig an Tomaten herumgezüchtet wurde.

Ein Pilz lehrt Demut

Jedenfalls gibt es nur wenige Sorten, die der Kraut- und Braunfäule widerstehen. Die tritt immer dann auf, wenn es längere Zeit regnet und die Sporen von Phytophthora infestans ihr Schimmelwerk beginnen. Von mal zu mal tauchen immer aggressivere Stämme des schädlichen Pilzes auf.

Ganz zu schweigen von Welke, Schimmel, Flecken, Schorf, Virusbefall, der Weißen Fliege, der Gurkenlaus und anderem Ungemach. Der Verein Dreschflegel hat vor Jahren versucht, in Genbanken und privaten Samensammlungen widerstandsfähigere Tomatensorten zu finden. Als wirklich resistent haben sich bislang nur solche erwiesen, die dem Wildtyp ähneln und vom Geschmack oder vom Ertrag her fragwürdig sind.

Der Nachbar, darin Sisyphos gleich, setzt trotzdem im April jedes Mal zehn Tomatenstauden, freut sich im Mai an den Blütenständen und reißt im Juli alles wieder raus, weil das ganze Gelump inzwischen schwarz verfault ist. Im vergangenem Jahr brachte er vom Gartencenter drei “alte Sorten” mit. Längst sind auch sie entsorgt.

Keiner hat sie je gezählet

Es gibt an die zehntausend Tomatensorten, so genau hat sie keiner gezählt. 3500 davon hat einmal eine Arbeitsgruppe der Universität Göttingen gesichtet. Knapp hundert wurden anschließend im Freilandanbau zwischen Alpen und Nordsee getestet und am Ende zehn selektiert, die der Fäule halbwegs trotzten. Und das auch nur, wenn man große Pflanzabstände einhielt, Kartoffeln aus der Nachbarschaft verbannte und pilzbefallene Pflanzenteile umgehend entfernte.

Die geschmähte Hollandtomate ist nur die Lösung eines Problems, das den Tomatenanbau von Anfang an begleitet hat. Als die ersten Exemplare um das Jahr 1500 herum aus Südamerika über Spanien nach Europa gelangten, war nicht einmal klar, ob dieses zweifelhafte Gemüse jemals über den Rang eines Kuriosums hinausgelangen würde. Im Wuchs ähnelte es der Tollkirsche, einem berüchtigten Giftgewächs.

Und das soll essbar sein?

Die Früchte waren anfangs winzig, hartschalig und bitter – “von stinkendem Geruch und üblem Geschmack”, wie der englische Botaniker John Gerard schrieb, um sich darüber zu wundern, dass einige Neapolitaner es trotzdem fertigbrachten, sie roh unter Einsatz von Salz und Öl herunterzubringen.

Der Pflanzensystematiker Carl von Linné ordnete die Tomate dann in seinem 1753 erschienenen Werk “Species plantarum” als Solanum lycopersicum ein, als giftigen “Wolfspfirsich” aus der Familie der Nachtschattengewächse. Sein Zeitgenosse Philip Miller war etwas optimistischer: “esculentum”, also essbar, befand er. Da war sie im Süden Europas bereits in den Speiseplan integriert.

Es dauerte allerdings bis ins 19. Jahrhundert hinein, ehe die Tomate auch nördlich der Alpen Beachtung fand. Sie ist nicht wirklich für den Anbau in kühleren Breiten geeignet. Tomatensamen keimen erst bei mehr als zwanzig Grad, die Pflanzen sind außerordentlich frostempfindlich, ihre Früchte platzen bei Feuchtigkeit.

Tomatenanbau blieb ein unkalkulierbares Risiko. Aber eines, das die Gärtner nicht ruhen ließ.

Alte Sorten ohne Ende

So entstand im Laufe der Zeit eine verwirrende Zahl von Auslesen, in allen denkbaren Formen und in Farben von Weiß, Gelb, Grün und Rot bis Violett und Schwarz.

© Sara/pexels

Fast jede Region brachte irgendeine Spezialität hervor: ›Bonner Beste‹, ›Rheinlands Ruhm‹, ›Harzfeuer‹, ›Quedlinburger Frühe Liebe‹. Viele hundert von ihnen sind in Samenbanken wie pro specie rara oder Arche Noah erhalten geblieben. Tomatenfreunde können heute wieder darauf zugreifen. Hobbygärtner schwören, wie gesagt, alle Eide, dass jede Einzelne davon besser schmeckt als die Wasserbomben aus dem Gewächshaus.

Aber sie machen sich etwas vor. Denn auch die Holländer haben dazugelernt. Ton Janssen, ein Bauer aus Venlo, war Mitte der neunziger Jahre einer der Ersten, die den Trend erkannten. Damals war der Unmut über den in Form von Tomaten erfundenen “vierten Aggregatzustand von Wasser” so groß geworden, dass die Verbraucher mehr und mehr zu spanischen Importen griffen. Auf der Iberischen Halbinsel und auf den Kanaren wurde zwar mit denselben Methoden angebaut, aber eben unter besseren klimatischen Bedingungen. Und afrikanische Tagelöhner pflückten im Akkord, was den Preis zusätzlich in den Keller trieb.

Die Antwort der Holländer

Zusammen mit vier anderen Betrieben begann der Züchter Ton Janssen vor nunmehr zwanzig Jahren, nach Sorten zu suchen, die weniger Ertrag, aber dafür mehr Aroma versprachen. Schließlich stieß er auf ›Campari‹, eine sogenannte Cocktailtomate, die mitsamt der Rispe geerntet wird. Das gilt mittlerweile als eigenes Qualitätsmerkmal: “Strauchtomaten” heißen sie irreführenderweise im Handel, obwohl die Pflanze keineswegs als Strauch, sondern im Gewächshaus wie jede andere Kommerztomate bis zu zwölf Meter pro Saison in die Länge wächst. Im Gegensatz zu den Tomatenfrüchten, deren Schale keinerlei Geruch besitzt, verströmen die grünen Rispen immerhin ein typisches Krautaroma.

Und die Entwicklung ist keineswegs stehengeblieben. Für ein Kilo besonders aromatischer “Kirschtomaten” kann man inzwischen locker zehn Euro und mehr auf den Tisch legen. Die kommen dann makellos und in edler Verpackung auf den Markt. Aber es lässt sich immer noch eins drauf setzen. Als jüngster heißer Scheiß auf dem Tomatensektor wird die Sorte >Amela< gepriesen, die in Japan gezüchtet wurde und in punkto Süße alle anderen Sorten in den Schatten stellen soll. Mittlerweile wird sie auch in Spanien angebaut und zu einem Preis zwischen zwanzig und vierzig Euro pro Kilo auf dem Markt für Luxusgüter gehandelt.

Darf’s noch etwas teurer sein?

Entscheidend für den Geschmack ist und bleibt jedoch der Zeitpunkt der Ernte. Unreife Tomaten können zwar beim Transport und bei der Lagerung nachdunkeln. Zuckergehalt sowie Aroma- und Inhaltsstoffe nehmen dabei aber kaum noch zu. Stattdessen werden sie mehliger. Richtig vollreife Tomaten andererseits sind nicht mehr lagerfähig. Also werden die Früchte in der Regel hellrot gepflückt.

Insofern hat sich auf dem Tomatenmarkt gar nicht so viel geändert. Nur die Zahl der Sorten und die Formenvielfalt hat zugenommen. ›Cuore di Bue‹ (“Ochsenherzen”) beispielsweise oder San-Marzano-Tomaten, beides hochgelobte italienische Slow-Food-Spezialitäten, sind längst auch im Programm von Agrokonzernen wie Syngenta. Ein Geschmackswunder sind sie deshalb noch lange nicht. Zu früh geerntet, bleiben sie genauso nichtssagend wie jede andere Sorte.

Was bleibt für den Tomatenfreund?

Im Winter sollte er nach Möglichkeit gar keine frischen Tomaten kaufen. Dann bleiben nur die aus der Dose. Unter südlicher Sonne gereift und an Ort und Stelle verarbeitet, schlagen sie im Geschmack alles, was rund ums Jahr in der Supermarkttheke liegt.

Was heißt überhaupt Tomatengeschmack?

Im Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau in Großbeeren bei Berlin ist man dieser Frage nachgegangen. Der Zucker allein, der in reifen Tomaten vorhanden sein sollte, ist es nicht. Er muss auch in einem harmonischen Verhältnis zur Säure stehen.

Aber selbst das ist nur ein grobes Maß. Die eigentlichen Aromastoffe werden erst beim Kauen frei. Nur zwanzig Prozent davon werden auf der Zunge gespürt, achtzig Prozent dagegen “retronasal” beim Ausatmen über Rachen und Nase. Alles in allem handelt es sich um mehr als vierhundert flüchtige Stoffe. Keiner davon riecht für sich allein genommen wie Tomate, die Beschreibungen reichen stattdessen von “unangenehm” und “frisch, grün, süß” bis hin zu “gekochter Kartoffel”. Das ist anders als bei Gurken, da genügt schon eine einzige Substanz namens Nonadienal, und man weiß: Das ist Gurke.

Bewaffnet mit diesen Erkenntnissen hat das Großbeerener Institut Vergleichsreihen durchgeführt. Die Sorte ›Supersweet‹, eine kommerzielle Cocktailtomate, wurde mit der Sorte ›Pronto‹, einer runden Standardfrucht, sowie einer alten Landsorte aus Mexiko ins Rennen geschickt. In fast allen Punkten schnitt die Cocktailtomate am besten ab. Die schnöde Hollandtomate landete immerhin noch auf dem zweiten Platz. Die mexikanische Landsorte dagegen fiel glatt durch, ihr bitterer Ton gefiel den Testessern ganz und gar nicht.

Unter dem Strich ist für den Geschmack einer Tomate entscheidend, wie viel Licht und Wärme sie tanken kann. Beurteilen lässt sich das anhand einer offiziellen Farbskala, die von eins (grün) bis zwölf (dunkelrot) reicht. Grün sollten Tomaten überhaupt nicht verzehrt werden, dann enthalten sie noch erhebliche Mengen an Solanin, einem giftigen Alkaloid, das auch durch Kochen nicht zerstört wird.

Wenn in manchen Rezepten trotzdem grüne Tomaten auftauchen, ist in Wahrheit die Tomatillo (Physalis philadelphia) gemeint, eine südamerikanische Vertreterin der Gattung der Blasenkirschen.

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Leb wohl, perfekter Rasen🧤

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Der große Durst