Viel Spaß mit dem Kürbis 🎃

Rekordernten gibt es immer wieder. Pfundschwere Tomaten, kiloweise Zucchini. Allein der Kürbis sprengt jedes Maß. Was fängt man mit ihm an?

Der ganze Stolz des Gärtners. © monstera-productions

Überall auf den Wochenmärkten werden sie jetzt angeboten. Offenbar war es mal wieder ein gutes Kürbisjahr. Nur mit der Schubkarre habe er seine Ernte abtransportieren können, sagt der Nachbar. Kein Zweifel, der Kürbis ist ein dankbares Gemüse. Angehenden Gärtnern, die Zweifel an ihren Fähigkeiten haben, empfiehlt sich der Kürbissamen-Test: Wer den nicht zum Keimen bringt, sollte sich ein anderes Hobby suchen.

Dabei gehört er strenggenommen nicht einmal zu den Gemüsen. Sondern zum Obst. Weil die Samen beim Kürbis zentral angeordnet sind, und weil es sich um eine Frucht handelt, die nicht von allein aufspringt, spricht der Botaniker von einer Panzerbeere (im Unterschied beispielsweise zur Erdbeere, die gar keine Beere ist, sondern eine Sammelnussfrucht; das nur nebenbei).

Vielfalt ohne Ende

Rund fünfzehn Kürbisarten umfasst die Gattung Cucurbita aus der Familie der Kürbisgewächse. Drei davon werden heute in großem Stil angebaut: der Gartenkürbis (Cucurbita pepo), der Riesenkürbis (C. maxima) und der Moschus-Kürbis (C. moschata). Daraus ist ein schier unüberschaubares Angebot an Varietäten und Sorten hervorgegangen, mit blumigen Namen wie 'Gelber Zentner', 'Bleu de Hongrie', 'Butternut', 'Mikoshi' oder der bekannte 'Hokkaido'; auch die Zucchini gehören dazu. Allein die Samenliste des österreichischen Vereins Arche Noah umfasst knapp zweihundert Einträge.

Es gibt Kürbisse in Schlangen- und in Turbanform, mit oder ohne Warzen, wild gemustert und in allen möglichen Farben.

Evolutionsbiologen sehen darin ein Paradebeispiel für “disruptive Selektion”. Das heißt: Im Laufe der Kürbisdomestizierung hat der Mensch die Extreme herangezüchtet, nicht das stabile Mittelmaß, das in der Natur weit häufiger vorkommt.

Verständlich, dass der Mensch sich Gedanken gemacht hat, ob so ein ansehnlicher Gegenstand etwas tauge
— Max Goldt

Sogar schon ziemlich lange hat er sich Gedanken gemacht. In Ecuador fand man bei archäologischen Grabungen Überreste von Flaschenkürbissen, sogenannte Phytolithe, deren Alter auf zehn- bis zwölftausend Jahre datiert wurde. Sie waren bereits größer als bei Wildpflanzen üblich.

Flaschenkürbisse (Lagenaria siceraria) wurden demnach in Südamerika bereits zu Beginn des Holozäns angebaut. Lange Zeit war es ein Rätsel, wie sie dort hingekommen sein mochten, denn ihre eigentliche Heimat liegt in Afrika.

Einige Forscher spekulierten, sie könnten mit der Erstbesiedlung Amerikas über die Beringstraße in die Neue Welt gelangt sein. Doch der Flaschenkürbis gedeiht, wie die meisten seiner Verwandten, vorzugsweise in tropischem oder subtropischem Klima. Es gibt auch keinerlei Hinweise auf eventuelle Vorkommen entlang des Weges von Sibirien nach Alaska, den die frühen Siedler wohl genommen haben müssen.

Allein über den Atlantik

Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass der Flaschenkürbis ganz von allein über den Atlantik gefunden hat. Seine Schale ist außerordentlich haltbar und zudem wasserdicht. Versuche haben gezeigt, dass die darin enthaltenen Samen selbst jahrelangen Aufenthalt im Salzwasser überstehen. In dieser Zeit hätten sie von Wind und Wellen getrieben jederzeit die amerikanischen Küsten erreichen können.

Zur Fortpflanzung mussten sie dann freilich ins Inland weiterreisen: Kürbisse keimen nur in Gebieten mit Süßwasser. Vielleicht haben Tiere sie flussaufwärts verschleppt.

Der Flaschenkürbis, auch Kalebasse genannt, wurde 2002 zum Gemüse des Jahres gewählt. © Karl Hammer et al.: “Kürbis, Kiwano & Co.”, Universitätsbibliothek Kassel, 2002

Flaschenkürbisse können bizarre Formen annehmen, aber von Natur aus ähneln sie den primären Geschlechtsmerkmalen des Mannes. Man kann sich vorstellen, dass die indigenen Völker Amerikas das mit Interesse zur Kenntnis genommen haben.

In kulinarischer Hinsicht war der Kürbis anfangs ein Reinfall, denn er schmeckte gallebitter. Auch heute noch kann es passieren, dass gezüchtete Kürbisse sich spontan an die genetische Ausstattung ihrer Vorfahren erinnern und größere Mengen toxischer Cucurbitacine produzieren. Die ausgeprägte Bitterkeit dieser Stoffe sollte dem menschlichen Verzehr eigentlich entgegenstehen, hin und wieder kommt es trotzdem zu tödlichen Vergiftungen.

Bitter bis zum Erbrechen

Als Brechmittel mag der Flaschenkürbis ursprünglich eine gewisse Rolle gespielt haben, doch seine Attraktivität lag auf anderem Gebiet. Aus Flaschenkürbissen lassen sich ohne großes Geschick Gefäße aller Art herstellen, in denen Flüssigkeiten aufbewahrt und transportiert werden können. Als Suppenschale, als Löffel oder Kopfbedeckung leisteten sie unschätzbare Dienste, man konnte sie auch als Auftriebshilfen für Fischernetze verwenden.

Größere Exemplare dienen heute noch als Trommel oder als Resonanzkörper für Streichinstrumente wie die indische Sitar, die Balkan-Kniegeige oder den Berimbau, der den brasilianischen Kampftanz Capoeira begleitet. Als Krönung der Flaschenkürbiskunst gelten jedoch die luxuriösen Behausungen, die reiche Chinesen für ihre Kampf- und Singgrillen anfertigen ließen.

Aber dann ging’s zur Sache

Es hat gedauert, bis die Menschheit eine Form entdeckte, die sich obendrein zum Verzehr eignete. Aber dann ging es zur Sache. Sommerkürbisse, Winterkürbisse, Moschuskürbisse, Feigenblattkürbisse wurden kreuz und quer angebaut. Kürbis, Bohnen, Mais waren bei den Mayas und Azteken Grundnahrungsmittel.

Große Verwirrung setzte ein, als die echten Kürbisse mit den Eroberern von der Neuen zurück in die Alte Welt kamen. Denn hier warf man sie sogleich mit ihren Verwandten in einen Topf, nämlich den Gurken, Melonen, Kalebassen und Koloquinten.

Der Kürbis tat ein übriges und ließ sich mühelos in jede gewünschte Richtung züchten. Weil er auf dem Boden reift und nicht am Baum, war sein Wachstum kaum zu bremsen.

Über kaum eine Sache herrscht in der Welt so viel Einhelligkeit wie über die Attraktivität des Kürbisses
— Max Goldt

Wohl wahr. Jedenfalls was seine äußeren Qualitäten betrifft. Über seinen inneren Wert gehen die Meinungen freilich auseinander.

Früher musste man Kürbisse mit der Lupe suchen. Mein Vater gehörte zu den wenigen Fans. Er aß gern Schlabbergurken. Damit meinte er als gebürtiger Ostpreuße jene glasigen Happen, die der Rest der Familie nicht ausstehen konnte. Noch lieber hätte er auf ähnliche Weise Kürbis gegessen. Aber das war mit meiner Mutter nicht zu machen. Der käme ihr nicht ins Haus, befand sie kategorisch.

Es gab ihn auch nirgends zu kaufen, man musste ihn selber anbauen und einkochen. Dass man Kürbis überhaupt essen kann, geriet später mit dem Einsetzen des Wirtschaftswunders zügig in Vergessenheit. In dieser Hinsicht ging es ihm nicht besser als der Steckrübe.

Wie sich die Zeiten ändern

Unlängst war ich auf einer Reise durch Thüringen. In einem Ausflugslokal in Rudolstadt hieß es: „Heute Kürbissuppe!“ In Naumburg, wo es regnete, servierte man am Marktplatz ein „Kürbissüppchen“. Desgleichen im Gasthaus “Zum weißen Schwan” in Weimar. Auf Schloss Auerstedt gab es das Gemüse sogar gebraten.

Nun ist Thüringen wahrhaftig keine Ausnahme. Ich vermute stark, dass es in diesen Tagen schwerfallen wird, irgendwo in Deutschland ein Lokal zu finden, das keinen Kürbis auf der Karte hat.

Landauf, landab dasselbe Bild: Es ist noch Suppe da

Meiner Beobachtung nach hat die Kürbis-Renaissance in den neunziger Jahren eingesetzt. Zur selben Zeit kamen auch die ersten Geländelimousinen auf den Markt, die man heute Sport Utility Vehicles nennt. Man muss sich nur mal einen BMW X6 oder einen Audi Q5 anschauen. Sofort springt einem die Ähnlichkeit ins Auge. Kürbis und Auto wirken wie aufgepumpt.

Ein Gutes hat der gastronomische Suppenfimmel immerhin: Man muss nicht selber ran. Wer je in der Küche vor dem Problem stand, einen Riesenkürbis zu zerlegen, der weiß, wovon ich rede.

Das mindeste, was man braucht, ist eine Axt, wobei die Kettensäge wohl noch einen Tick hilfreicher wäre. Die unzerstörbare Schale bekommt man nur mit dem Skalpell herunter, das wattige Innere lässt sich vergleichsweise leicht herauslöffeln. Wenn vorher nicht der Notarzt kommt, steht man am Ende vor einem Riesenberg steinharter Kürbiswürfel.

Und was macht man damit?

Die gnädigste Lösung wäre, sie zu kompostieren. Stattdessen produziert man Dutzende von Gläsern mit süßsaurem Kompott, die man ewig aufbewahren und vermutlich sogar vererben kann. Viel Spaß dabei.

Spitzenköche mühen sich trotzdem seit Jahren, das Renommee des ordinären Plutzers aufzuwerten, ihn als „Melone des Nordens“ einzureihen in die Riege der ehrenwerten Beilagen. In Form von Lasagne, Bowle, Auflauf, Marmelade oder Brot preisen sie ihn an. Als Frikadelle oder im Risotto, als Holsteiner Kürbissuppe, Spreewälder Senfkürbis, Badische Kürbismaultaschen. Selbst Wolfram Siebeck bekannte zu Lebzeiten mal, ihn gelegentlich zu präparieren.

Vergebens. Dankbar mag der Kürbis sein. Aber nur in Maßen genießbar. Kürbis schmeckt eigentlich nur, wenn er nicht nach Kürbis schmeckt. Selbst hartnäckige Kürbisverehrer räumen ein, dass an solche Gerichte größere Mengen starker Gewürze gehören.

Unbegreiflich, daß die Menschheit nach all den Jahrtausenden partout nicht zu der Erkenntnis gelangen will dass ein Kürbis das Aroma einer ungelüfteten Umkleidekabine hat
— Max Goldt

Die allgemeine Verehrung, die dem Kürbis entgegenschlägt, muss andere Gründe haben, wurzelt jedenfalls nicht im Kulinarischen. Drall, wie er ist, geht der Kürbis natürlich auf den ersten Blick als Fruchtbarkeitssymbol par excellence durch. Außen rund, innen hohl, dabei voller Samen, was symbolisiert das? Genau. Die Pueblo-Indianer Neumexikos legten ihren weiblichen Nachkommen einen Kürbis mit in die Wiege; das Geschlecht der männlichen beträufelten sie dagegen mit Wasser.

Kein Aphrodisiakum. Aber immerhin gut für die Prostata

In der Oststeiermark, wo man aus den schalenlosen Kernen der Varietät Cucurbita pepo L. convar. pepo var. styriaca Greb. ein schwärzliches Öl preßt, hat sich bis in die Neuzeit der Glaube gehalten, dass es dem Kürbiswachstum förderlich sei, wenn die Bäuerin ihm beim Setzen den nackten Hintern zeigt.

Die steirischen Kürbiskerne und das daraus gewonnene Öl werden auch als Mittel gegen Prostataleiden gepriesen. Aber ein Aphrodisiakum wird daraus beim besten Willen nicht. Ganz im Gegenteil ist die Warnung des Botanikers Leonhard Fuchs überliefert: „Wan man der Gurchen zu vil braucht / und der andern Cucumern / so machen sie unlust zu den Eelichen wercken.“

In Nordamerika ist es üblich, im Oktober Kürbisse vor seine Haustür zu legen, um den Autofahrern zu signalisieren, dass Oktober ist. Zu Halloween holt man sie dann ins Haus und lässt sie unter Anteilnahme der Familie feierlich verfaulen
— Max Goldt

Kürbisschicksal. Selbst der Gigant unter den Gewächsen, lautet die Botschaft, geht irgendwann den Weg in den Gemüsehimmel. Aber Obacht: Da will er nicht bleiben.

Charlie Brown und seine Freunde, also Millionen von Amerikanern, haben den Kürbis zur Ersatzreligion erhoben. Linus, der Philosoph unter den “Peanuts”, schultert alljährlich seine Schmusedecke und begibt sich auf die Kürbisfelder, wo er der Ankunft des Großen Kürbis harrt. Der zwar niemals kommt. Dessen Existenz aber nicht in Frage steht.

Am Ende wird er zur Religion

Die Wurzeln dieses Brauchs reichen zurück ins Heidnische. “All Hallows Eve”, die Nacht vor Allerheiligen, war nach Ansicht der Kelten die Stunde der Untoten. All jene, die im Jahr zuvor gestorben waren, kehrten nun zurück, um von den Seelen der Lebenden Besitz zu ergreifen.

Um sie daran zu hindern, löschte man alle Lichter und zog mit Mann und Maus hinaus in die Finsternis, wo Feen, Kobolde und das ganze Gelichter lauerte. Darunter auch Jack-o'Lantern, ein Dorfschmied, der seine Seele dem Teufel verschrieben hatte.

Als der ihn holen wollte, hexte ihn der zauberkundige Ire erst in sein Portemonnaie, dann auf seinen Lehnstuhl, schließlich in den Apfelbaum.

Sogar die Hölle schmiss ihn raus

Verständlich, dass ihm die Himmelstür verschlossen blieb. Aber auch in der Hölle erinnerte man sich und schmiss ihn wieder raus. Nur ein Stück glühende Kohle bekam er mit auf den Weg.

Jack steckte es in eine ausgehöhlte Rübe und hatte seine Laterne. Irische Auswanderer brachten die Geschichte mit nach Amerika, wo aus der Rübe ein Kürbis wurde. Halloween, die Nacht des Grauens, steht seitdem im Zeichen der höllisch grinsenden pumpkins.

An Halloween schlägt seine große Stunde © pexels/matheus-bertelli

Mirakel Kürbis. Man wird ihm möglicherweise
 nicht restlos auf den Grund kommen. Vielleicht ist er auch schon jenseits von Gut und Böse. So lange steht er in Kultur. Und hat es doch nie geschafft, in die Reihe der Starpflanzen aufzusteigen.

Um den Reis, um den Mais, um das Getreide kümmert sich die Züchtungsforschung, bringt eine Hochleistungssorte nach der anderen hervor. Um den Kürbis kümmern sich weltweit allenfalls noch eine Handvoll Wissenschaftler, und die werden immer weniger: Vavilov, Grebenscikov, Whitacker, Jeffrey, Bailey, Karl Hammer, allesamt Cucurbitologen von Rang, längst gestorben oder im Ruhestand.

Kürbis manipulieren? Lohnt sich einfach nicht

Ja, den Gentechnikern, denen geht es gut, hat der emeritierte Karl Hammer einmal festgestellt, wenn er mit einem isolierten Kürbis-Gen daherkäme, könnte er vielleicht noch Forschungsgelder lockermachen. „Aber was soll man beim Kürbis Gene manipulieren? Der ist ja schon so, wie er sein soll.“

So wächst er dahin, der alte Plutzer, von der Wissenschaft nicht länger behelligt, dumm wie ein Kürbis, wie man in Österreich sagt. Und wenn ihn die Nachtfröste endgültig dahinraffen, nimmt er sein Geheimnis mit ins Grab.

Trotz alledem: Kürbiskompott

Kürbis schälen, Kerne entfernen, Kürbis würfeln (3 cm), abwiegen. 1,5 kg Kürbisfleisch mit ¼ | Weinessig beträufeln, zugedeckt 12 Std. ziehen lassen, gelegentlich umrühren. Auf einem Sieb gut abtropfen lassen. 1 Flasche herben Apfelwein mit 1 kg Zucker aufkochen. Kürbiswürfel portionsweise darin so lange kochen, bis nach 5 Min. die Kanten glasig werden. Zum Schluss 2 unbehandelte Zitronen (mit Schale in Scheiben geschnitten), 1 Stückchen Ingwer, I Stange Zimt, 18 Nelken und alle Kürbiswürfel im Sud noch einmal kräftig aufkochen, heiß in Gläser oder Steintöpfe füllen. Nach dem Kaltwerden verschließen. Nach einer Woche prüfen, ob der Saft noch sirupartig ist. Sonst abfüllen und noch einmal dick einkochen. (Aus: “Essen und Trinken”)

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Ernte 23 🍏

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Leb wohl, perfekter Rasen🧤