Wiesenträume

Eine Blumenwiese ist das ultimative Ziel des Biogärtners. In der Praxis gar nicht so einfach.

So hätte man es gern. Die Realität sieht anders aus.

Seit mehr als zehn Jahre versuche ich nun schon, eine artenreiche Wiese zu etablieren. Sehr weit bin ich damit nicht gekommen. Zweimal im Jahr mähen und das Schnittgut fortschaffen reichen offenbar nicht. Am Ende dominiert immer noch der Bestand, den ich eigentlich beseitigen will. Das sind die dicken Horste von Glatthafer, Knäuelgras und Honiggras..

Der Fachmann würde meine Wiese wohl zu den Arrhenatheretalia zählen, also zu den Fettwiesen mittlerer Lagen, die traditionell zur Heugewinnung dienen. Ich will aber kein Heu, sondern Vielfalt. Wie alle Biogärtner, die davon irgendwo gehört oder gelesen haben.

Typische Fettwiese

Wo steckt hier die Vielfalt?

Voriges Jahr hat mir dann unverhofft der trockene Sommer in die Hände gespielt. Nach dem ersten Schnitt im Juni gab es praktisch keinen Niederschlag und keinen Aufwuchs mehr. Dafür machte sich die Gemeine Schafgarbe breit. Das ist ein Kosmopolit, der fast auf allen Kontinenten zu Hause ist und gern als Pionierpflanze auf stickstoffhaltigen Böden wächst. Die Schafgarbe bildet ober- und unterirdische Ausläufer und kommt auf diese Weise flott voran.

Ihr Gattungsname Achillea verweist nicht von ungefähr auf den griechischen Helden, der beinahe unverwundbar gewesen wäre, wenn er nicht diese vermaledeite Ferse gehabt hätte. Aus Sicht des Systematikers handelt es sich bei Achillea millefolium um einen verzwickten Fall, denn diese Art bringt zahlreiche Kleinarten mit unterschiedlicher Chromosomenzahl hervor, die mit dem Kürzel agg. (für Aggregatum) zusammengefasst werden.

Die gemeine Schafgarbe

Kommt durch Ausläufer flott voran

Die Gemeine Schafgarbe zeigt im Sommer weiße Blütenstände, und wenn man der biodynamischen Lehre Rudolf Steiners anhängt, tut man gut daran, damit die Blase eines Rothirschs zu füllen, die eine Zeitlang in der Sonne verwesen muss, ehe man sie vergräbt und im nächsten Jahr wieder ausbuddelt, was angeblich ein ganz vortreffliches Kompostpräparat ergibt, das in homöopathischen Dosen verabreicht wird.

Schafgarbe ist auch in den meisten Samenmischungen enthalten, die zur Anlage von Blühstreifen dienen, um Insekten anzulocken. Mein eigener Versuch mit einer speziellen Mischung für den Wiesensaum ist allerdings gescheitert. Die Brennnessel war wieder mal schneller.

Die Brennnessel ist sowieso schneller

Wer sich eingehender mit dem Thema beschäftigt, lernt erst einmal: Wiese ist nicht gleich Wiese. Man kann grob unterscheiden in Trocken- und Halbtrockenrasen. Beide können entweder als Weide dienen, die von Schafen, Rindern und Pferden kurz gehalten wird. Oder als Wiese, die nur zwei- bis dreimal im Jahr zur Heugewinnung gemäht wird. Schmeißt der Bauer Dünger drauf, geht das auch öfter, es handelt sich dann aber aber eher um Wirtschaftsgrünland als um eine artenreiche Wiese. Einmal pro Jahr blüht da trotzdem etwas, nämlich Löwenzahn und Klee. „Für den Landschaftshaushalt immer noch besser als ein Maisacker“, heißt es in dem einschlägigen Bestimmungsbuch „Wiesen, Weiden und anderes Grünland“ (Hirzel Verlag, Stuttgart 2002).

Pflanzensoziologen sind beim Benennen von Wiesen wesentlich pingeliger als unsereiner. Sie ordnen jeden Typ von Grünland einer bestimmten „Assoziation“ zu und präzisieren dies noch durch den „Verband“. Die gedüngte Vielschnittwiese des Landwirts wird auf diese Weise zu einer „Taraxacum-Lolium-Gesellschaft“, weil unter den Gräsern das wuchsfreudige Deutsche Weidelgras Lolium perenne sowie das ergiebige Bastard-Weidelgras Lollium hybridum dominieren. Man kann das noch sehr viel weiter treiben, bis in die zugehörigen Subassoziationen, Varianten und Subvarianten hinein. Man kann es aber auch lassen.

Die Wiese der Vilbeler Naturfreunde

Viel Spaß beim bestimmen.

Die Pflanzensoziologie ist eine recht spitzfindige Wissenschaft, weil sie versucht, klare Verhältnisse zu schaffen, die in der Praxis selten so eindeutig vorliegen. Meine Wiese passt eigentlich in keines der gängigen Muster.

Einerseits stehen Obstbäume darauf, was sie aber noch nicht zur Streuobstwiese qualifiziert, weil sich weder Margerite noch Storchschnabel, Lichtnelke oder Flockenblume blicken lassen. Dafür macht sich neuerdings im Frühjahr der blau blühende Ehrenpreis breit, der auf eine Fettwiese hindeutet, was aber nicht sein kann, weil das gute Stück meiner Kenntnis nach mindestens zwanzig Jahre lang nicht mehr gedüngt wurde.

Andererseits: Das Grundstück ist nicht eingezäunt und dient regelmäßig als Hundeklo für alle Fiffis aus der näheren und weiteren Nachbarschaft. Das bleibt ganz sicher nicht ohne Einfluss auf die Flora.

Der Ehrenpreis

Liebt es ebenfalls fett. Das hat er gemein mit dem Löwenzahn

Wiesen, darf man bei alledem nicht vergessen, sind nicht der Urzustand mitteleuropäischer Natur. Sondern exakt das Gegenteil. Ohne menschliche Einwirkung gäbe es sie nicht.

Erst die Rodung der Wälder und die anschließende Bewirtschaftung der freien Flächen haben dazu geführt, dass sich je nach Bodenbeschaffenheit, Höhenlage und Klima typische Pflanzengesellschaften aus Gräsern und Kräutern herausgebildet haben, die noch immer unser nostalgisches Bild von der Landschaft prägen. Es ist durch und durch eine Kulturlandschaft.

Weil aber die Agrarwirtschaft, die sie hervorgebracht hat, längst andere Wege geht als zu Urgroßvaters Zeiten, sieht man die meisten (und in den meisten Augen schönsten) Wiesentypen nur noch selten.

Aber egal. Ich werde meine zweihundert Quadratmeter weiter mähen, bis mir die Sense aus der Hand fällt. “Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen”, schrieb Albert Camus vor sechzig Jahren.

Ich finde, da ist was dran.

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Ein Tütchen Vielfalt

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Mein idealer Apfelbaum 🍏