Mein idealer Apfelbaum 🍏

Moden kommen und gehen. Das gilt auch für den Obstbaumschnitt. Welchem Vorbild soll man folgen?

Säulenobstbaum Champagner-Birnen-Apfel 'ProSecco'®
© as-garten.de

Hätte man früher ein Kind gebeten, einen Apfelbaum zu malen, wäre mit Sicherheit ein gerader Stamm und eine kugelige Krone herausgekommen. Heute ist nicht mehr sicher, ob es überhaupt schon mal einen gesehen hat. Und wenn, dann wahrscheinlich einen Kümmerling, der aus dem Sortiment für Kleingärten und Balkone stammt und eine Art schlanke Säule darstellt, die nicht viel größer ist als das Kind selbst. Die Idee eines Baumes ist darin kaum noch zu ahnen.

Im Obstbau galt lange Zeit ein Idealbild, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts an der Gärtnerfachschule in Stuttgart entwickelt worden war. Dort war man zu der Auffassung gelangt, die beste Form für einen Apfelbaum sei die einer Pyramide.

Aus: Nicolas Gaucher: “Praktischer Obstbau.

Der erste, der an diese Lehrmeinung rüttelte, war der Schweizer Hans Spreng. Sein Vater hatte noch nach der alten Methode gelernt, dem Sohn missfiel es aber, dass die oberen Äste der beschnittenen Bäume den unteren mit zunehmendem Alter das Licht nahmen. Als Lehrer an der 1920 gegründeten und bis heute bestehenden Obstbauschule in Oeschberg begann er, die Kronen radikal auszulichten, wodurch der Baum den Habitus eines nach oben weit geöffneten Kelches annahm.

Den Alteingesessenen gefiel das anfangs überhaupt nicht, Spreng wurde als „Baummörder“ attackiert. Besonders übel nahm man ihm, dass er die Bauern dazu bringen wollte, anstelle von reichlich Fallobst, aus dem sich alkoholischer Most herstellen ließ, lieber ausgesuchte Tafeläpfel zu produzieren. Aber Spreng ließ nicht locker und bekam schließlich Rückenwind durch den Schweizerischen Obstbauverband, der seinen „Oeschbergschnitt“ offiziell absegnete.

Zum Missionar dieser Methode wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der schwäbische Obstbauer Helmut Palmer, nach seiner Heimatgegend auch der „Remstal-Rebell“ genannt, weil er unermüdlich gegen alles und jeden wetterte, ganz besonders gegen seine Mitbewerber bei Bürgermeisterwahlen, zu denen er insgesamt 250 mal antrat; einem von ihnen bescheinigte er, für dieses Amt so geeignet zu sein „wie der Igel zum Arschputzen.“ Palmer saß wegen diverser Beleidigungen und Tätlichkeiten mehr als vierhundert Tage in Haft, was den Wutbürger freilich nicht zur Räson brachte.

Helmut Palmer (1930 - 2004)
Foto Südwest Presse

Palmers Baumschnittkurse waren legendär. Die Deutschen, pflegte er zu dozieren, würden ihre Bäume immer noch nach dem Führerprinzip behandeln, dem Hauptast würde alles untergeordnet, die Oberen dürften sich im Lichte sonnen und die Unteren bekämen nichts ab. Bei dem von ihm weiterentwickelten „Palmer-Oeschbergschnitt“ dagegen würde die Last demokratisch auf mehrere Hauptäste verteilt.

Für die Mehrheit der amtlichen Fachberater war das damals reine Häresie, es brach ein regelrechter Obstbaukrieg aus. Doch mit den Jahren legte sich die Aufregung. Die Grundprinzipien der Oeschberg-Methode fanden nach und nach Eingang in die Praxis und Theorie des Obstbaumschnitts.

Wie aus dem Lehrbuch: Apfelbaum auf dem Dottenfelder Hof

An Palmer selbst erinnert eine Vitrine im Museumsgefängnis Hohenasperg, in dem der Obstrevoluzzer einst einsitzen musste.

Aus Protest trug Helmut Palmer bei seiner Verhaftung demonstrativ einen Judenstern Foto: factum/Weise

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Vom Hochstamm zur Superspindel 🍏