Wer ist Phyll?

Seit vielen Jahren versucht die Stadt Bad Vilbel, Betriebe im Neubaugebiet anzusiedeln. Jetzt werden die Pläne wieder geändert. “Phyll” soll ein Quartier jetzt heißen.

Blick über das noch unbebaute Gelände in Richtung Dortelweil

Die unendliche Geschichte

Das Ringen um das Areal dauert nun schon mehr als zwanzig Jahre. Historisch gesehen allerdings nur ein Klacks, denn begehrt war das Land immer. Anno 1545 wurde erstmals ein Acker “vff der krebß schernn” in den Büchern des Frankfurter Dominikanerklosters erwähnt. Der Boden, einer der fruchtbarsten in ganz Deutschland, lieferte über Generationen hinweg reiche Ernten.

Bis zur fünften Fruchtfolge

Da macht sich der Acker vom Acker

Um die Jahrtausendwende herum trat dann in Kraft, was gemeinhin als “fünfte Fruchtfolge” bezeichnet wird. Die Stadt Vilbel kaufte die Fläche auf und erklärte sie zum Gewerbegebiet. Auf einen Schlag stieg der Grundstückspreis um ein Vielfaches.

Aktuell wird dort ein Bodenwert von 350 Euro pro Quadratmeter zugrunde gelegt, also grob gerechnet das fünfzig- bis hundertfache wie für Acker- und Grünland.

Steil nach oben mit den Preisen: Auszug aus der Bodenkarte beim Geoportal Hessen

Ein neuer Stadtteil

Nicht weniger als ein kompletter Stadtteil soll hier entstehen. Hauptinvestor ist nach längerem Hin und Her bis auf weiteres die in Berlin ansässige “DLE Land Development GmbH”.

»Wir haben das ganze Projekt neu gedacht«, sagt der Geschäftsführer Simon Kempf. “Mit ‘Phyll’ schaffen wir die Verbindung zwischen Bad Vilbel und Chlorophyll«. Nicht auf Anhieb für jeden nachvollziehbar.

Namensfindung ist eben “eine Kunst für sich”.

Das ist geplant

Das knapp hunderttausend Quadratmeter große Gelände soll nach und nach bebaut werden. Dazu muss erneut der Bebauungsplan geändert werden. Aktuell gilt die 9. Fassung, eine 13. ist in Arbeit. Der gesamte Aktenberg umfasst mittlerweile mehr als 600 Megabyte. Was ungefähr dem hundertfachen Inhalt der Bibel entspricht. Nur nicht ganz so leicht zu studieren.

Anders als bei früheren Großprojekten ähnlicher Art gab es im Vorfeld dieses Mal sogar eine umfangreiche Präsentation durch das Architektenbüro Kadewitt.

Eine einzigartige Architektur wird versprochen. Und viel Grün. Das gehört heute in jede Projektbeschreibung.

Demnach wird der Standort in drei Zonen aufgeteilt. Und zwar in einen “Mobility Hub” zur Aufnahme des Verkehrs, eine “urbane Mitte” und einen Bereich mit aufgelockerter Bebauung. Die Höhe der Gebäude soll zwischen fünf und sieben Geschossen liegen.

Imagefilm © DLE Group AG

Hoch hinaus

Sie werden von zwei Hochhäusern überragt, dem abgeschrägten “Flat Iron” und dem in sich verdrehten “Hochpunkt” mit jeweils maximal 52 Metern, was die Bauten des weiter südlich gelegenen Berufsförderungswerks und die benachbarten Wohntürme noch um einiges übertrifft.

Vom Dach der geplanten Hochhäuser könnte der Blick dann ungehindert in die Ferne schweifen

Die einstige Ackerfläche soll durch Straßen und Bauten knapp zur Hälfte versiegelt werden. Angepeilt wird eine Bruttogeschossfläche von rund 240 000 Quadratmetern.

Kein Mangel an Büros

Drei Viertel davon sind für Büros und Parkplätze vorgesehen. Damit steht das Vorhaben in direkter Konkurrenz zum Nachbarstandort Frankfurt.

 
 

Leerstand nimmt zu

Allerdings ist die Nachfrage nach Büroimmobilien in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Zur Zeit stehen allein in der Mainmetropole mehr als eine Million Quadratmeter leer. Welche Marktanteile Vilbel in diesem Umfeld erobern kann, bleibt eine Wette auf die Zukunft.

Die Einwohner der Stadt setzen so oder so andere Prioritäten..

Was die Vilbeler wollen

Befragt, was ihnen besonders am Herzen liegt, nannten sie der Reihe nach die soziale Infrastruktur (48 Prozent), Gastronomie (43 Prozent), Wohnraum (42 Prozent) und Nahversorgung (33 Prozent). Büros waren ihnen vergleichsweise weniger wichtig. Sorgen machte ihnen außerdem das Thema Verkehr.

 
 

Was der Investor denkt

Die Befragung wurde im Sommer 2023 durchgeführt. Simon Kempf, Geschäftsführer der DLE Land Development GmbH, nahm dazu in einer Pressemitteilung Stellung: „Das Phyll bietet sowohl Investoren als auch künftigen Nutzern ein hervorragendes Angebot. Aber wir haben gesehen, dass es Themen gibt, bei denen wir unsere Planungen weiter anpassen können.“

 

Das Interview

 

Ganz groß fing es an

Neu überdacht wurden die Pläne in der Vergangenheit bereits mehrfach. 2014 war der Bad Homburger Projektentwickler Jörg-Peter Schultheis erstmals mit der Idee für ein “Silicon Valley of Europe” an die Stadt herangetreten. Das war ganz groß gedacht: Eine halbe Milliarde Euro wollte er zunächst für sein visionäres Vorhaben zuzsamenbringen, achttausend neue Arbeitsplätze schaffen und Bad Vilbel jährliche Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von zirka 40 Millionen Euro bescheren.

Auf Startupradio.de, (dem inzwischen verblichenen) “Podcast für Entrepreneure, Investoren und alle, die es werden wollen”, war Schultheis um Worte nicht verlegen. Hier entstehe etwas, das sich allenfalls noch mit dem kalifornischen Menlo Park oder Palo Alto vergleichen lasse. Nur eben viel, viel moderner.

“Gigantisches Interesse”

Die Finanzierung stehe bereits, meldete zwei Jahre später der Bad Vilbeler Anzeiger. Und noch einmal zwei Jahre später, im März 2018, wurde kolportiert, das Unterfangen gehe nun endgültig auf die Zielgerade. Unter Investoren in aller Welt bestehe bereits ein “gigantisches Interesse”. Den Mitgliedern des Planungs-, Bau- und Umweltausschusses sei teilweise der Mund offen gestanden, hieß es über die Präsentation des nunmehr als “SmartCity Springpark Valley” vorgestellten Konzepts.

Der Ausschuss war sprachlos

Leider finden sich dazu im Protokoll der Sitzung keine Unterlagen mehr. Sodass man im Nachhinein auf die immer noch existierende Website https://springparkvalley.com zurückgreifen muss.

Das Verkehrsproblem war da bereits gelöst

Mal eben 800 Millionen

Es dauerte nicht lange, bis 2019 der erste Spatenstich inszeniert wurde. In Anwesenheit einer Reihe gut gelaunter Gäste aus Kommunalpolitik und Bauwirtschaft. schwärmte Jörg-Peter Schultheis (“sichtlich enthusiasmiert,” wie die Wetterauer Zeitung berichtete) vom “größten Innovationshub Europas”. Zweitausend Interessenten hätten bereits angefragt,. Auch mit der Führung von Google sei man inzwischen im Gespräch.

Die geplante Bausumme wurde noch einmal um mehr als die Hälfte nach oben korrigiert. Stattliche 800 Millionen Euro wolle die Berliner Unternehmensgruppe Cesa hier mit Hilfe von Partnern investieren, kündigte deren Geschäftsführer Achatz von Oertzen an. Das sei ein “freudiger und hoffnungsfroher Tag” für die Stadt Bad Vilbel, sagte Bürgermeister Thomas Stöhr.

Großzügig gestundet

40 Millionen Euro sollte allein der Verkauf des Grundstücks bringen. Zwei Millionen sollte es als Anzahlung bei Vertragsunterzeichnung geben. Die kamen offenbar nicht fristgerecht an. Das sei aber kein Problem gewesen, hieß es wenig später: Man habe die Zahlung kurzerhand gestundet und damit obendrein noch einen Zinsgewinn verbucht.

Der nächste Partner

Im März 2020 berichtete dann die Frankfurter Rundschau, es sei ein weiterer, bis dahin unbekannter Investor eingestiegen. „Ziel sei es, für alle Projektphasen ein stärkeres Partner-set-up zu installieren“, hieß es bei der Pressestelle der Cesa. Mit dem neuen Geldgeber sei man sich einig, die bisherigen Pläne zu hundert Prozent in die Tat umzusetzen.

Der Beschluss

Zur Abstimmung gelangte ein Vierteljahr später eine Beschlussvorlage für die Stadtverordnetenversammlung, die mehrheitlich angenommen wurde.

Ein beachtlicher Teil der Grundstücksfinanzierung werde demnach von der Taunussparkasse beigesteuert. Dieser sei bereits eine Grundschuld in Höhe von 23 Millionen Euro bewilligt worden. Darüberhinaus sei mit der Dr. Ulrich Knapp GmbH aus Stuttgart ein privater Kapitalgeber eingestiegen, der 14 Millionen Euro als nachrangiges Darlehen zur Verfügung stelle.

Die Ulrich Knapp GmbH

 

Ulrich Knapp ist Geschäftsführer mehrerer Unternehmen, die auf verschiedenen Geschäftsfeldern tätig sind. Seit einiger Zeit gehört auch der Handel mit Briefmarken dazu.

 

Alles eine Nummer kleiner

Ein weiteres Jahr ging ins Land. Die Cesa ging währenddessen ein Joint-Venture mit der eingangs bereits erwähnten Deutsche Landentwicklung (DLE) ein. Letztere teilte im Mai 2021 auf Anfrage der Online-Zeitung Landbote mit, man werde die Fläche wegen der Corona-Epidemie erst einmal nicht bebauen, sondern den örtlichen Vereinen zur kostenfreien Zwischennutzung für Sport- und Kulturveranstaltungen anbieten. Davon war im weiteren Verlauf freilich nicht mehr die Rede. Auf dem brachliegenden Gelände wurden stattdessen Lastwagen und Container abgestellt.

Springpark ade

Ein endgültiger Rückzug aus dem Projekt sei nicht geplant, hieß es gleichwohl. Es werde nur kleiner ausfallen. Der Name “Spring Park Valley” werde gestrichen, der Ideengeber Jörg-Peter Schultheis sei nicht mehr an Bord.

Und die Stadt außen vor

Für die Stadt Bad Vilbel sei es nur wichtig, dass an dem Projekt weiter gearbeitet werde, kommentierte deren Pressesprecher Yannick Schwander. Auf Änderungen an den Plänen habe man nach dem Verkauf des Grundstücks allerdings keinen Einfluss mehr. Eine Umwandlung zu einem Quartier für dauerhaftes Wohnen sei nach dem gegenwärtigen Stand jedenfalls nicht möglich.

Der Status quo

“Coming soon”, heißt es heute von Seiten der Cesa. Man wolle in der Stadt der Quellen möglichst bald flexible Arbeitswelten schaffen. Für den Anfang ist dafür ein Teilbereich in unmittelbarer Nachbarschaft von Rewe und Aldi vorgesehen.

Dieses Grundstück fällt, abweichend vom Rest des Geländes, unter den Bebauungsplan “Quellenpark Südwest”. Darin wird es als sogenannte „Außenbereichsinsel im Innenbereich“ eingestuft, was die Planung deutlich beschleunigt..

Ein Pionier

Als erstes Vorhaben will die Cesa einen sechsgeschossigen Bau mit dem Namen “Pioneer” hochziehen. Darin würden Büros, Gastronomie und Veranstaltungsräume untergebracht, heißt es; angedacht sei auch eine Teilnutzung als Hotel.

Das Bauschild steht schon

Wenn das kein Versprechen ist …

Nach Art der Krebse

Als “Krebsschere” geistert der ehemalige Acker seit einem Vierteljahrhundert durch die Debatte. Großartige Pläne wurden auf den Tisch gelegt und klanglos beerdigt. Gewaltige Investitionen wurden an die Wand gemalt und entpuppten sich als reines Wunschdenken. Und immer wieder hieß es, sei das Bauvorhaben sei endgültig in trockenen Tüchern. Was man bis heute nicht wirklich behaupten kann.

Nachforschungen zwecklos

Unternimmt man den Versuch, den einzelnen, nicht näher spezifizierten Hinweisen auf potentielle Großinvestoren nachzugehen, verläuft die Suche allerdings rasch im Sand. Das ganz große Geld scheint einstweilen noch einen Bogen um Bad Vilbel zu machen.

Und wie geht es weiter?

So kann man vorläufig nur spekulieren, wer tatsächlich mit welchen Summen und mit welcher Perspektive in das Projekt einsteigen könnte. Das hängt davon ab, wie sich der Immobilienmarkt in Zukunft entwickelt. Gewerbeflächen sind zur Zeit wenig gefragt, drei- bis viermal höhere Preise werden für neue Wohnquartiere aufgerufen.

Die Stadt hat dennoch wissen lassen, dass sie keine weiteren Wohngebiete dieser Größenordnung festschreiben will. Denn in Vilbel sei der Bedarf jetzt gedeckt. Man habe hier praktisch keine Obdachlosen - und wenn es überhaupt Wohnungssuchende gäbe, seien sie mehrheitlich nicht vermittlungsfähig. Noch mehr zahlungskräftige Klientel aus dem benachbarten Frankfurt wolle man auch nicht anlocken.

Kaufmännisch betrachtet stehen sich am Ende zwei finanzielle Interessen gegenüber. Wer ein Grundstück im Neubaugebiet gekauft hat, sucht nach Wegen, es zum höchstmöglichen Preis zu verwerten. Wer ein Grundstück verkauft hat, kann Einnahmen nur noch in Form einer regelmäßig fließenden Gewerbesteuer kassieren.

“You can’t eat the cake and have it”

Oder wie der Schweizer zu sagen pflegt: “Du chasch nit dr Füfer und s Weggli ha”. Denn hier steckt die Stadt Vilbel nun wahrhaftig in der Krebsschere. Noch gilt der Plan, dort ausschließlich Gewerbe und nur in geringem Umfang Wohnungen zu genehmigen.

Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Wenn ein neuer Investor am Horizont auftaucht, werden Bebauungspläne in der Quellenstadt über kurz oder lang an seine Wünsche angepasst.

”Luftschlösser zu bauen ist leicht. Schwer ist es, sie wieder zurück auf die Erde zu holen”

- François Mauriac

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