Was hat ein Gärtner zu reisen?

Endlich Urlaub. Aber ist das eine gute Idee? In den Zeiten des Klimawandels riskant. Und eine Zumutung für den Garten.

Muss die Freiheit grenzenlos sein

Einer der größten Gärten in meiner Nachbarschaft wird von einer Familie bewirtschaftet, die ziemlich viel um die Ohren hat. „Bewirtschaftet“ trifft es auch nicht ganz, denn man sieht sie dort eigentlich nur, wenn irgendein Geburtstag zu feiern ist. Gerade sind sie dabei, Kind und Kegel und Hund in den Familienbus zu packen; es geht für ein paar Wochen in den Süden.

Bella Italia!

Wer will schon die schönste Zeit des Jahres im grausligen Deutschland verbringen? Wo das Wetter eine einzige Zumutung ist, wo es ohne Unterlass nieselt und der Hauswirt verklagt werden muss, damit er wenigstens die Heizung weiterlaufen lässt.

 

Man gönnt sich ja sonst nichts

Nun bin ich selbst seit kurzem aus dem Urlaub zurück. Beim Hinflug war der Flughafen gesperrt, weil die Landebahn kniehoch unter Wasser stand. Über dem Meer zog ein Gewitter nach dem anderen auf. Beachpartys wurden reihenweise abgesagt, Badehosen und Handtücher gar nicht mehr trocken und die Gäste immer missmutiger.

Aber doch nicht so

Bloß kein Regen!

Denn es blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als auf ihren Zimmern zu hocken und in feuchten Klamotten RTL zu gucken, was der Satellit gerade noch hergab. Da war dann im Wetterbericht die Rede davon, dass daheim die Sonne von früh bis spät nur so vom Himmel strahlte. Was sie im übrigen schon seit längerem tat: Der Deutsche Wetterdienst berichtete von den wärmsten und niederschlagsärmsten Wochen seit Beginn der Aufzeichnungen.

Genau das ist es eigentlich, was die Menschen aus dem Norden alljährlich in den Süden treibt: Strahlender Sonnenschein, dreißig Grad im Schatten und um Himmelswillen kein Regen.

Glühend heißer Wüstensand

Da liegen sie dann am Strand wie in der Sahara. Und wenn sie zur Abkühlung ins lauwarme Salzwasser springen, können sie das nicht mal trinken.

Sollte man stattdessen nicht lieber zuhause bleiben? Und sich um die eigene Scholle kümmern? Ein Gärtner hat nicht zu reisen, heißt es kategorisch bei Goethe. Denn “Ehre bringt’s ihm und Glück, wenn er sein Gärtchen versorgt.“ Ein Spruch, wie geschaffen, um ihn auf Brokat gestickt in die Laube zu hängen.

Persönlich neigte der Dichter allerdings mehr ins Theoretische und überließ die schweißtreibende Praxis gern seiner Frau.

Goethe war gut

Als Großgenie konnte er jederzeit den herzoglichen Hofgärtner nebst einem Heer von Hilfskräften herumkommandieren. Man schätzt, dass Goethe im Laufe seines Lebens rund vierzehn Jahre auf Reisen verbracht und dabei an die dreißigtausend Kilometer zurückgelegt hat.

Heute schaffen wir das in einer Woche. Wenn wir zum Beispiel mal eben nach Phuket und retour fliegen. Aber auch eine Woche Abwesenheit kann ziemlich lang werden. Zum Beispiel wenn in der Zwischenzeit daheim eine Mörderhitze samt vollständiger Trockenheit geherrscht hat. Die meisten Topfpflanzen sind dann dahin.

Ein anderes Tempo

In der Hallertau sagt man im übertragenen Sinne: Der Hopfen will täglich seinen Herrn sehen. Er wächst bei entsprechender Pflege jeden Tag zehn Zentimeter in die Länge. Aber das ist die Ausnahme. Wenn man Glück hat, legt der Garten in Abwesenheit des Gärtners einfach eine Pause ein.

Wir bekommen ja sowieso kaum mit, welches Tempo Pflanzen haben. Es geht uns da ähnlich wie Captain Kirk, der mit seinem Raumschiff Enterprise auf dem Planeten Scalos landet und auf ein Volk trifft, das so irrsinnig beschleunigt lebt, dass ein Erdling es nicht einmal sehen und ihre Gespräche nur als ein insektenhaftes Sirren wahrnehmen kann. Umgekehrt müssten die Scalianer, wenn sie die Erde besuchen, den Eindruck gewinnen, dass Menschen und Tiere sich praktisch nicht bewegen. Sie würden nicht annehmen, dass es sich um intelligentes Leben handelt, denn zielgerichtete Handlungen lassen sich aus dieser Perspektive nicht erkennen.

 

Bohnen in Zeitlupe

Was Menschen und Tiere für die Scalianer, sind für uns die Pflanzen. Sie leben in einer anderen Zeitdimension. Wir können sie uns nur durch technische Hilfsmittel erschließen. Der italienische Pflanzenphysiologe Stefano Mancuso führt in seinen Vorträgen gern ein Video vor, das er in Zeitlupe aufgenommen hat. Alle zehn Minuten hat die Kamera festgehalten, wie sich eine junge Bohnenpflanze mühte, einen festen Halt für ihre Ranke zu finden. Gut einen Meter entfernt im Raum stand ein einzelner Metallstab, und auf den hielt sie von Anfang an zu. Das heißt, die Bohne eierte nicht irgendwie umher, bis sie zufällig darauf stieß, sondern streckte sich in die einzig sinnvolle Richtung. Als sie den Stab endlich erreicht hatte, atmete sie förmlich auf; man sah es daran, dass ihre Blätter aufhörten, hektisch auf- und abzuflattern.

In einem weiteren Experiment kam anschließend eine zweite Bohne hinzu. Die hatte freilich schlechtere Karten. Trotz aller Anstrengungen gelang es ihr nicht, den Stab ebenfalls zu erobern. Frustriert gab sie am Ende auf.

 

Das heißt: Der Garten tickt anders

Mancuso will damit illustrieren, dass Pflanzen durchaus Ziele verfolgen können. Wie die Bohne den Stab ortet, kann auch er nicht erklären. Möglicherweise handelt es sich um eine Art Echolotung.

Dass Pflanzen einen Sinn für Töne und obendrein auch noch ein Gedächtnis haben, wollen außerdem Forscher der University of Missouri bewiesen haben. Sie spielten Vertretern der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana Geräusche vor, wie sie entstehen, wenn an ihren Blättern Raupen nagen. Hatten die Pflänzchen schon einmal eine derartige Atacke erlebt, produzierten sie automatisch höhere Konzentrationen von Senfölglykosiden, die zur Abwehr von Fraßfeinden dienen.

Zurück zu meinem Garten. Hat er mich vermisst, als ich im Urlaub war? Ist er beleidigt? Oder war es ihm scheißegal? Ich glaube: Er tickt komplett anders.

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Ratzfatz mit den Rosen 🌹