Im Herbst geht es dahin

Im traurigen Monat November war’s, die Tage wurden trüber. Der Wind riss von den Bäumen das Laub …
— Heinrich Heine: "Deutschland. Ein Wintermärchen"

Für die einen eine Plage, für die anderen ein Geschenk.

Noch einmal ein schöner Tag im Spätherbst. Es rieselt Gold. Der Kirschbaum wirft seine letzten Blätter ab. Zehntausende sind es wohl gewesen. Das rauscht jetzt alles runter Und wirft die Frage auf: Wohin mit dem Zeug?

In den guten alten Zeiten wurde das Laub noch in feuchtem Zustand verbrannt, was mordsmäßigen Qualm verursachte und inzwischen nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz verboten ist.

Let it burn

Heute greift die Nation lieber zum Motorgerät. Wer erst mal einen leistungsstarken Laubbläser erstanden hat, dem klingt er wie Musik in den Ohren. Flüsternde Exemplare sind seit längerem im Angebot, aber die Kundschaft greift nicht im erwarteten Umfang zu, weil ein Laubbläser, der was wegschafft, ordentlich Krach machen muss.

Bloß fort mit dem Laub

Man kann stattdessen auch alles zusammenharken, in Laubsäcke verstauen und an die Straße stellen, wo Wind und Wetter alsbald dafür sorgen, dass der Inhalt wieder gleichmäßig verteilt wird.

Der Nachbar hat noch einen weiteren Weg gefunden, sein Laub loszuwerden. Er lädt es auf den Hänger und fährt es bei Nacht und Nebel in den Wald.

Wirtschaftsökologisch betrachtet ist das eine Umkehr der Streunutzung, bei der die armen Bauern nach dem Dreißigjährigen Krieg den Waldboden bis auf den letzten Rest kahlgefegt und die Streu als Dünger, zum Abdichten und als Viehfutter verwendet haben. Den Forst hat das seinerzeit ruiniert.

Für Ökogärtner ein Segen

Grün orientierte Gärtner betrachten das Laub alternativ als Segen. Zum Beispiel als willkommenen Winterschutz auf Beeten und unter Sträuchern. Leicht angefeuchtet, sackt das schnell zusammen und bildet eine Schicht, die je nach Wunsch liegen bleiben oder im Frühjahr fortgeräumt werden kann. Laub kann auch gut kompostiert werden, nur nicht das von der Eiche, weil es ziemlich gerbstoffhaltig ist.

Da freut sich der Kompost

Muss man das dulden? Im Prinzip ja

Ronald Reagan, ein Vorgänger von Donald Trump im Amt des amerikanischen Präsidenten, hat den alljährlichen Laubfall seinerzeit als Umweltverschmutzung schlechthin bezeichnet.

Nicht wenige Menschen sehen das ähnlich. In Deutschland werden Jahr für Jahr Prozesse geführt um die Frage, ob man den Blattfall vom Nachbargrundstück auf seinem eigenen dulden muss. Antwort: im Prinzip ja. Nach einem einschlägigen Urteil des Bundesgerichtshofs muss man es in der Regel hinnehmen. Übersteigt die Menge des fremden Laubes jedoch das Übliche, darf man eine angemessene Laubrente verlangen.

Und wie ist das mit denTieren?

Bei den Pflanzen kann man sich immerhin damit trösten, dass viele von ihnen im Frühjahr wiederkommen. Aber wie ist das mit den Tieren? Die meisten leben nicht sehr lange. Eine Feldmaus kann von Glück sagen, wenn sie fünf Monate alt wird. Von den Wildkaninchen überleben nur wenige den ersten Winter. Auf Helgoland wurde mal ein beringtes Amselweibchen gefangen, das angeblich 22 Jahre und drei Monate alt geworden war. Aber das dürfte eine Ausnahme sein.

Wildbiologen schätzen, dass rund die Hälfte aller wildlebenden Wirbeltiere nicht durch Räuber zu Tode kommen, sondern durch Nahrungsmangel oder Krankheiten. Und was geschieht dann?

Dann kommen die Nekrophagen

Allen voran sind das Insekten. Dazu gehört der Totengräber (Nicrophorus), der nicht nur so heißt, sondern kleinere Tierleichen tatsächlich zuverlässig unter die Erde schafft. Mindestens genauso schnell zur Stelle ist die Goldfliege Lucilia, deren metallisch glänzendes Gewand so gar nichts von ihrem dunklen Geschäft verrät. Zur selben Zeit sind die Mikroben dabei, ihr Zersetzungswerk zu verrichten. Vorher kommen vielleicht noch der Fuchs und, wo es ihn gibt, der Wolf vorbei, um sich ihren Anteil zu sichern; Kolkraben, Mäusebussarde, Rotmilane sind ebenfalls interessiert.

Der Ökologe Christian von Hoermann von der Universität Ulm hat einmal untersucht, wie schnell ein totes Säugetier im Wald verschwindet. Dazu legte er 75 Kadaver von Schweineferkeln an verschiedenen Stellen auf der Schwäbischen Alb, im Nationalpark Hainich und im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin aus.

Christian von Hoermann befüllt die Becherfallen von Schwein Nr. 51 auf dem Versuchsfeld der Biodiversitätsexploratorien in der Schorfheide-Chorin. © Universität Ulm

Die ersten Tierleichen waren bereits nach sechs Tagen skelettiert, die letzten spätestens nach einem Monat. Ausschlag gaben neben der Temperatur, der Luftfeuchtigkeit und der Beschaffenheit des Bodens vor allem der Zustand und die Artenvielfalt des Waldes. Um letztere zu fördern, sei es sinnvoll, totes Wild als Teil der natürlichen Nahrungskette im Forst zu lassen, sagt von Hoermann.

Bislang sind es vor allem die Jäger, die solches Fallwild entweder an Ort und Stelle vergraben oder zur nächsten Tierkörperbeseitigungsanstalt bringen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein landeten Kadaver noch auf dem Schindanger. In Spanien haben sich bis vor einiger Zeit die Muladares gehalten, sehr zur Freude der Geier, die als besonders effektive Aasfresser bekannt sind.

Aus Furcht vor der Rinderseuche BSE hat die Europäische Union jedoch 2002 eine Hygieneverordnung erlassen, nach der tote Kühe oder Pferde nichts mehr in der Landschaft zu suchen haben. Und selbst der ökologisch gesinnte Waldbesitzer muss mit scharfen Protesten rechnen, wenn er ein verendetes Reh einfach liegen lässt.

Raben und Füchse müssen sehen, wo sie bleiben

Hygiene soll nach Möglichkeit auch in der Natur herrschen. So müssen Käfer, Raben und Füchse eben zusehen, wie sie zurecht kommen. Eine erstaunlich hohe „Zersetzerdiversität“ hat Christian von Hoermann übrigens rund um die Mülltonnen der Großstädte gefunden. Ganz lässt sich das Geschehen eben nicht aus der Welt schaffen.

Denn nichts bleibt ewig

Irgendwann geht alles den Bach hinunter. Der Igel findet hoffentlich bald in den Winterschlaf. Und die Feldmaus einen gnädigen Tod.

© skitterphoto-pexels

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